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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Engelmann, R.: Der Apoll von Belvedere
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0058
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99

Der Apoll von Belvedere

100

ABB. 1. APOLLO STROOANOFF
RÜCKENANSICHT

Im Jahre 1882
und noch be-
stimmter 1893
in seinem Buch
»Meisterwerke«
hat Furtwäng-
ler (S. 664) den
Apollo Stroga-
noff von der
vatikanischen
Statue losge-
löst, indem er
erst darlegte,
daß jener ein
anderes Motiv
hatte, und spä-
ter die ganze
Statuette als
gröbliche Fäl-
schungbezeich-
nete. Für den
Apoll von Bel-
vedere aber ist
er wieder auf
den Bogen zu-
rückgekom-
men; in der
Rechten trägt
er, wie schon

vorher gesagt, einen Lorbeerzweig mit davon herab-
hängenden Wollbinden, in der Linken dagegen hält er
den Bogen, die notwendige Ergänzung zum Köcher auf
der Schulter, und er wird gedacht, wie er durch sein Reich
schreitet, und die Wendung des Kopfes will uns sagen, daß er
überall schaut, wo zu helfen, wo zu retten ist. »Er naht,
er erscheint, er ist da, wo immer ihn Bedrängte rufen.«
Und so sind wir im Kreislauf wieder bei Montorsoli an-
gelangt. Und doch kann dies nicht richtig sein. Um vom
Bogen nichts zu sagen, dessen Unmöglichkeit sofort in
die Augen springen würde, wenn man ihn in natürlicher
Oröße dem Gott wirklich in die Hand geben wollte, sehen
wir das Gewand an, das in schweren Massen vom linken
Arm herabhängt, während nur ein leichter Zipfel über den
Arm geschlagen ist, der nimmer der niederziehenden Last
das Gleichgewicht halten kann, dann muß man fürchten,
daß im nächsten Augenblick das Gewand vom Arm her-
abgleitet, wenn nicht in irgend welcher Weise für ein
Gegengewicht gesorgt ist. Von solchen Skrupeln, die mit
den in der Figur selbst liegenden Mitteln nicht geheilt
werden können, hin- und hergeworfen, fühlt man sich bei-
nahe zu dem Ausruf gedrängt: Wie schade, daß die
Photographie nicht schon zur Zeit der Alten erfunden
worden ist, dann hätten doch sicherlich Fachleute oder
Amateure von der Apollostatue zahlreiche Aufnahmen ge-
macht und die eine oder andere wäre vielleicht auf uns
gelangt und hätte uns aus aller Verlegenheit herausgerissen.
Aber, wenn die Alten auch nicht die Photographie gekannt
haben, so haben sie doch die Malerei besessen. Wäre es
nicht möglich, daß uns in der immerhin nicht kleinen
Zahl von Gemälden, die auf uns gekommen ist, eine Kopie
des vatikanischen Apollo oder vielmehr seines Vorbildes
erhalten wäre? Daß statuarische Werke als Vorlage für
Maler gedient haben, ist eine Tatsache, die ich als be-
kannt wohl voraussetzen darf. Und zwar lassen sich zwei
Gruppen unterscheiden, einmal, wo der Maler die Absicht
gehabt hat, ein Kunstwerk als solches direkt nachzubilden,
und zweitens die, wo der Maler eine von einem Bild-
hauer geschaffene Figur für seine eigene Komposition

entlehnt hat. Um dies an einem Beispiel zu erläutern,
es gibt von der Gruppe des Harmodios und Aristogeiton,
der bekannten Tyrannenmörder, direkte Nachbildungen, die
natürlich für die Haltung der einzelnen Figuren und für ihre
Gruppierung von der allerhöchsten Bedeutung sind, daneben
kommen aber auch die einzelnen Figuren in anderem Zu-
sammenhang vor, z. B. ist der Hermes in der Iodarstellung
der in das Museo Nazionale aufgenommenen Stevens-
sammlung ganz dem Aristogeiton nachgebildet1). Und
derartige Nachbildungen lassen sich zahlreich nachweisen.
Natürlich verdienen die der ersten Klasse für die Er-
kenntnis des alten Kunstwerks den Vorzug, weil der
Maler bemüht gewesen ist, das Werk als solches kenntlich
mit allen seinen Eigenheiten darzustellen. Aber auch die
zweite Klasse ist immerhin für die Erkenntnis des zu-
grunde liegenden Typus von Wichtigkeit, wenngleich man
nicht dabei vergessen darf, zu untersuchen, wie weit der
Maler von seinem Vorbild zugunsten seiner eigenen
Komposition abgewichen ist.

Eine solche Nachbildung, leider der zweiten Gattung
angehörig und darum nicht ohne weiteres ausschlaggebend,
bin ich in der Lage, für den belvederischen Apollo nach-
zuweisen; es ist dies ein Bild, das 1862 in der Casa di
Sirico in Pompeji gefunden ist und Poseidon und Apollo
bei dem Mauerbau von Troja darstellt2). Die Ähnlichkeit
des Apollo mit der vatikanischen Statue ist mir schon
seit vielen Jahren aufgefallen; um die Sache zur Entschei-
dung zu bringen, mußte ich aber die Gelegenheit abwarten,
die Statue von der sonst der Wand zugekehrten Seite
photographieren zu können. Dazu habe ich hier in Rom
endlich die Gelegenheit gefunden, dank dem freundlichen
Entgegenkommen des Commendatore Rosso, durch den
ich die Erlaubnis erhielt, da das Original im Vatikan nicht
drehbar ist, den Gipsabguß der Accademia delle Belle Arti
mir zurecht zu stellen; beide Figuren, der Apoll von Bel-

1) Vgl. Jahrb. des Inst. 1903, S. 45 T. 2.

2) Giorn. d. scavi di Pompei Anno 1862, T. 5. R. Engel-
mann, Homeratlas T. 8 Nr. 44- S. Abb. 3.

ABB. 2. DETAIL VOM APOLL VON BELVEDERE
 
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