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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Ostasiatische Malerei im British Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0315

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Ostasiatische Malerei im British Museum

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und Liebe erhalten und gepflegt hat, so daß chinesische
Originale namentlich der älteren Perioden heute in Japan
in größerer Zahl zu finden sind, als in ihrer eigenen Heimat.
Indessen werden auch in Japan die Schätze der alten
Fürstenhäuser und der Tempel, die den größeren Teil des
nationalen Kunstbesitzes bergen, nicht dem ersten Besten
gezeigt; knapp einem halben Dutzend Europäern mag es
bis heute gelungen sein, einen Überblick über den unend-
lich reichen japanischen Kunstbesitz zu gewinnen. Das
hindert bei uns natürlich niemand, der eine Feder halten
oder einige Künstlernamen auswendig kann, nach Herzens-
lust drauf los zu urteilen und zu sammeln, auch wenn er
so gut wie nie ein japanisches oder chinesisches Kunst-
werk gesehen hat, das diesen Namen wirklich verdient.

Nach allem muß uns gerade die stolze Vereinigung
großer Namen in dem Kataloge des British Museum mit
einigem Unbehagen erfüllen: was er verspricht, ist zu
schön, um wahr zu sein. Der allmählich berühmt ge-
wordenen Rolle des Ku K'ai-chih (Nr. 1) gegenüber muß
unsere Kritik allerdings verstummen, weil sie nicht den
kleinsten festen Punkt findet, von dem sie ausgehen könnte.
Die Rolle ist einzig. Nur mag gesagt sein, daß die aller-
höchste , eine fast verzweifelte Wahrscheinlichkeit gegen
die Zuschreibung an diesen großen Meister des 4. und
5. Jahrhunderts und gegen ihr hohes Alter spricht. Das
Gedränge kaiserlicher und anderer Siegel, das das Maki-
mono bedeckt, beweist natürlich nicht das geringste. Die
sehr gute Schrift ist weit jünger, als der große Künstler,
dessen — sicherlich nachträgliche — Bezeichnung die Rolle
trägt. Ihr Stil weist nach dem Urteile japanischer Schrift-
kundiger in das 9. bis 10. Jahrhundert, — aber eben nur
ihr Stil. Sie kann so gut jüngerer Zeit entstammen, wie
die Seide, die keinerlei Kennzeichen eines hohen Alters
trägt. Daß England im 20. Jahrhundert in den Besitz eines
Hauptwerkes von Ku K'ai-chih kommt, dessen Arbeiten
in China und Japan seit Jahrhunderten als völlig verloren
gelten, ist beinahe ebenso möglich wie die Entdeckung
einer Tafel von' Polygnot oder Pausias im heutigen China.

Auch Han Kan, der große Pferdemaler des 8. Jahr-
hunderts, ist für den modernen Chinesen eine fast legen-
däre Gestalt. In Ostasien scheint kein Bild seiner Hand
bekannt zu sein, aber jeder chinesische oder japanische
Sammler wäre sicherlich mit Freuden bereit, sich für ein
solches Portentum zu ruinieren. Der Katalog des British
Museum weist ihm ein Bild (Nr. 28, Wegener) mit Sicher-
heit, eines (Nr. 2g. Anderson) mit einigen Bedenken zu.
Chao Meng-fu, der große Yüanmeister (1254—1322), von
dessen Werken die Ostasiaten mit Schaudern einer Ver-
ehrung sprechen, die nie zu körperlicher Anschauung ge-
kommen ist, dessen Arbeiten aber in Kopien fast zum not-
wendigen chinesischen Hausrate gehören, ist sogar gleich
mit drei Werken vertreten (Nr. 35., 36. Slg. Wegener, Nr. 37
neuerer Ankauf). Yen Hui (jap. Ganki), dem Schöpfer der
gigantischen beiden Rishi im Chionin, Kyoto, wird der
T'ieh Kuai Nr. 46 (Wegener), Wang Jö-shui (Ö Jakusui)
einem der größten Blumen- und Tiermaler der Yüan, das
Blumenstück Nr. 52 (Wegener) zugemutet. Dem Gänse-
bild der Slg. Wegener Nr. 30 ist eine Taufe erspart ge-
blieben; »masterpieces of the Sung period« sehen aber
anders aus als diese mystische Ruine. Eine Kritik all dieser
Bilder ist wohl überflüssig.

Unter den Mingbildern finde ich ein paar brauchbare
Gemälde: die beiden Bachlandschaften Nr. 63, 65 (Ander-
son) des hervorragenden Malers Lii Chi (15.—16. Jahrh.)
und die zierliche Dame des Ch'iu Ying (Nr. 71, Franks).
Das Tang Yin (1466—1524) bezeichnete Bild des Dharma
(Nr. 72, Wegener) geht wenigstens auf ein Original von
außerordentlicher Kühnheit und Größe der Komposition

zurück, und die Chü-chung zugeschriebene Darstellung eines
tartarischen Jägers (Nr. 66, Wegener) läßt das vorzügliche
Vorbild immerhin ahnen. Auch das Hsiao-hsien signierte
Bild des Chu Mai-ch'en (Nr. 67, Wegener) verdient Lob,
wenn ein Vergleich mit dem grandiosen T'ieh-kuai des
Tempels Myöshinji und der schönen Landschaft des Vic.
Aoyama auch lehrt, daß wir hier kein Original des großen
Meisters Wu Wei vor uns haben. Was sonst noch unter
den Namen berühmter Ming- und Ch'ingmeister segelt,
wollen wir nur mit einem Blicke streifen.

Mit den japanischen Bildern, die größtenteils der
Sammlung Anderson entstammen, stehen wir auf völlig
festem Grunde. Als brauchbar können das Nirwana Nr. 109,
eine arg zerstörte Replik eines sehr berühmten und unend-
lich häufig kopierten chinesischen Bildes, der Rakan Nr. 111,
ebenfalls eine tüchtige Replik eines Bildes aus einer endlos
kopierten Rakanserie, die aber nichts mit Minchö zu tun
hat, und der Sennin Shöriken Nr. 121 hervorgehoben werden,
der das Siegel des Kano Motonobu (1476—1559) trägt und
wohl echt ist. Die anderen Motonobu, die Shöei (1520
—x593) und Utanosuke (f 1575) gehören dagegen zu den
alten Massenimitationen, die in allen curio shops und auf
allen japanischen Auktionen für wenige Yen zu haben
sind. Der Hotei Nr. 113 wird von Japanern — ent-
gegen meiner Überzeugung — als ein schwaches Alters-
werk des größten und ungleichsten aller japanischen Maler,
des Sesshü (1420—1506) betrachtet, auch dem durch Be-
schneiden völlig ruinierten Landschaftschirm Nr. 114
eine Chance der Echtheit gelassen, während die Land-
schaft Nr. 112 eine der zahlreichen und schlechten
Fälschungen dieses berühmten Meisters darstellt. Seinem
Schüler Sesson (1450—1506) werden die Landschaften
Nr. 128 ff. mit zweifelhaftem Rechte, seinem Begleiter auf der
Reise nach China Shügetsu der tüchtige Yuima Nr. 118 mit
zweifellosem Unrechte zugeschrieben. An den Landschaften,
mit denen Söami und Dasoku belastet werden (Nr. 119 und
120), sind diese beiden großen und seltenen Meister des
15. Jahrhunderts sicherlich unschuldig: das erste ist eine
nondeskripte Fusumadekoration, das zweite ein Lexikon
landschaftlicher Gemeinplätze im Stile des großen Chinesen
Hsia-kuei, wahrscheinlich von einem späten Kanomeister.
Diese, die Sanraku, Sansetsu, Naonobu, Tsunenobu und
vor allem Tanyü, sind mit einer ziemlichen Zahl von Ge-
mälden vertreten, aber, sowenig sie zu den Heroen der
japanischen Malerei gehören, man täte ihnen wahrlich Un-
recht, wollte man sie nach diesen schlecht vorgetragenen
Zitaten beurteilen. Vollends einem Genius wie Sötatsu
eine Stümperei wie die Manzaitaenzer Nr. 141, und Körin
eine Massenfälschung wie den Narihira Nr. 142 zuzutrauen,
ist beinahe ein Sakrileg. Unter den künstlerisch und histo-
risch ziemlich unbedeutenden Werken der jüngeren Meister,
namentlich des neueren Ukiyoe, sollen sich einige echte
und bezeichnende Stücke befinden. Ich kenne diese Meister
zu wenig, um mir ein Urteil erlauben zu können. Eine
sichere Fälschung ist der Toni Bunchö Nr. 159, um der
Gerechtigkeit willen sollen aber die beiden nicht ausge-
stellten Landschaften des Kantei (Nara Högen) erwähnt
werden, echte und gute Arbeiten dieses seltenen und un-
bedeutenden Malers des 15. Jahrhunderts.

Wenn unsere Kritik der Ausstellung des British Mu-
seum das Schlimmste auch durch Schweigen geehrt hat —
allzu günstig konnte sie leider nicht ausfallen. Leider —
denn jedes vollgültige Kunstwerk, das aus Ostasien nach
England kommt, ist ein Gewinn, jeder Fehlkauf ein Verlust,
nicht nur für England, sondern für Europa. Trotzdem hat
mir nichts ferner gelegen, als die Verwaltung des British
Museum wegen ihrer Käufe und Unterlassungen kritisieren
zu wollen. Das kann füglich den Engländern überlassen
 
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