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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 6
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Hübner, Friedrich Markus: Bei James Ensor in Ostende
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0118
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108 Bei James Enfor in Oftende
die drohende Gefahr erkennt, aber aus Gründen eines tieferen Inftinktes dem
Schickfal, bringe es was es wolle, nicht aus dem Wege gehen will. Auch
die toten Dinge, feine Gemälde, gibt Enfor nicht weg,- wie er denn Zeit
feines Lebens nur in wenigen Fällen fich zu einem Verkauf feiner Arbeiten
hat entfchließen können. Was die Sammler heute erheben, find in der Mehr-
zahl zweite Fällungen, nach dem Originalwerke oft in einem Abftande von
zwanzig Jahren hergeftellt,- unter der Auktionsmenge Enforfdier Gemälde,
die vor vier Wochen in Brülfel ein Lütticher Sammler zum Verkauf bot, be-
fand fich keines, welches nicht in Verhaerens Monographie über Enfor <1908>
fchon abgebildet gewefen wäre, bloß daß es nicht die wahrhaften erften Arbeiten,
fondern fpätere, von Enfor ohne Jahreszahl gezeichnete Kopien waren. Diefe
Kopien weifen übrigens alle Merkmale der inzwifchen ftattgehabten Entwick-
lung Enfors auf, feine Wendung zu kecken, grellen Farbengegenfatzharmonien,
während seine alte Malweife der achtziger Jahre die Farben eintaucht in ein
altertümliches Dunkel, aus dem fie mit all der DelikatelTe ihrer Zueinander^
ftimmung auffchimmern. Diefe alten Gemälde gibt Enfor nicht her,- denn
keine toten Dinge find fie, vielmehr feines Lebens übriggebliebene heißefte
Stunden, feine Erlöfungen, die Ergänzungen zu ihm felber. Es ift fieber,
daß der Künftler im Nu vernichtet wäre und ein unfruchtbarer Greis würde,
wenn er fich von diefen bleibenden Spiegelbildern feines Könnens und feiner
Seelenentfaltung trennen müßte, von diefen Verwirklichungen feines Ichs, das
ihm fonft unfichtbar wäre und das er fo liebt wie ein Gefangener zuletzt feine
fenfterv er gitterte Zelle lieben kann. Trotz feiner falt 60 Jahre, fagte ich fchon,
ift Enfor elaftifch und jünglingshaft, und die Schönheit feines blauen Auges,
die edle Größe des in einer leicht gefchwungenen Nafe und einer reinen
Stirne fich fammelnden Gefichts mit dem weichen, fchwarzen, in der Mitte ge-
fcheitelten, künftlerifch-flotten Kopfhaare ift ungetrübt.
Er lebt in einem Durcheinander von Taufenderlei fremdländifchem Tand:
Masken aus China, Mufcheln fremder Meere, ausgeftopften Seetieren, feidenen
Damenftiefeletten und griechifchen Tonfigürchen,- das liegt auf den Taften des
aufgefchlagenen Harmoniums, hängt unterhalb der Zimmerdecke hoch an der
Wand, fiehlt fich auf dem Erdboden umher, aber wehe der vorwitzigen Hand,
die hier aufräumen und ordnen wollte. Enfor braucht diefe Gegenftände für
feine Bilder,- und wie von den Bildern, fo trennt er fich nicht von feinen
Motiven, gleichfam als hätte fich auch in fie, vor zwanzig Jahren da er fie
auf die Leinwand brachte, ein Stüde feiner empfindlichen Seele eingehaucht und
als fürchte er die fchöne Erinnerung zu verlieren,- wie ein einfacherer Erden-
bürger Briefe und Bänder bis zum Zerfalle in Staub fammelt von Frauen,
die er liebte und wo er Gegenliebe fand, fo bewahrt Enfor, der Selbftver-
fchloflene, die lofen, unnützen Dinge ohne Beziehung auf eine Frau, ohne
 
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