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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0127
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Notizen

117

Der troftlofe Peffimismus feiner Auffaflung,
feine graufame Entkleidung und Zer»
faferung der Erfcheinungen erweckte den
Eindruck des Krankhaften, ließ tiefe Ver»
ftimmung im Befchauer zurück. Heute unter
dem Eindrude feines fo tragifch erfolgten
Todes, der ein Teilbild aus den apoka»
lyptifchen Greueln ift, die uns rings um»
geben, erfcheint all das wie dämonifcher
Tief blick, wie das inftinktive Wißen eines
berufenen Künftlers, der die Dinge als
Vorboten und Schatten der letzten Dinge
begriff. Schieles erfte Arbeiten [fanden
unter dem Einfluß Guftav Klimts, deffen
in lebenslanger Arbeit errungene Sicher»
heit der Linienführung der Jüngling wie
mit einem Schlage an fleh riß. Die Kühn»
heit feiner Zeichnungen, die Grazie ihres
Schwunges, ihr gefühlsgetränkter Zug,
waren verblüffend; aber ihre Selbfiver»
Itändlichkeit wurzelte nicht tief, fie war
mehr glücklicher Griff als erarbeitete
Meilterlchaft; Schieles erffe Talentproben
hatten mehr kalligraphifchen Reiz als archi»
tektonilchen Aufbau. Von diefem bei»
nahe kunffgewerblichen Ausgangspunkt
trieb den jungen Künffler eine innere Un»
ruhe weiter,- in großen Kompofitionen
fuchte er qualvoll gereizte Empfindungen
zu bannen. In harten Verzerrungen
tragen diefe wie gehäuteten Geftalten eine
zuckende Starre zur Schau; lebende Leich»
name, fcheinen fie eine innerlich lodernde
Glut unter fchwerem äußeren Druck er»
fticken zu fühlen. Diefe Art fubkutaner
Malerei, ein Leiden unter einer tieffitzen»
den Wunde, die vielen der jüngeren
Künffler unferer Zeit — z. T. von Van
Gogh her — eigentümlich ilt, erhielt ihre
befondere Note bei Schiele durch die be»
ftrickende Anmut der Linien und den un»
ausrottbaren Gefchmack,- der Widerfpruch
lieh feinen Bildern den perverfen Schimmer
exotifchen Siechtums, Diefe reizvolle Ab»
ffoßung wirkte befonders bei den Land»
fchaften, die gleichzeitig den fchillernden
Opalglanz eines edlen Geffeins und die
tiefe Melancholie trauernder Herbfte zeigen
oder eine Fläche mit dem fieberhaften
Geflecht erregten Geäftes durchädernihr
füßes Gift — zufammen mit der brün»
ffigen Glut feiner Aktzeichnungen — ift
für Schieles Kunft am meiften charakte»

riltifch geworden. Die letzten Jahre brachten
ihm darüber hinaus eine Steigerung der
malerilchen Mittel,- Figurenkompofitionen
und Landlchaften find zu ruhigerem Auf-
bau und erhöhter Kraft gediehen. Sie
zeigen vor allem ein Erftarken der per»
fönlichen Ausdrucksweife und die neuge»
wonnene Fähigkeit, das brennende Be»
dürfnis fteter Selbftgeffändnifle zur Be»
wältigung maleriffher Aufgaben zu er»
höhen. Einen Prinzen Heinrich, der fein
Reich mit dem Gefühl hohen Eigenwertes
zu regieren fich anfchickte, hat hier der
Tod gefällt, der erbarmungslos durch unfere
Städte fihreitet. Hans Tietze.
Architekt Carl F. W. Leonhardt f
(geb. 24. August 1881, gefallen am 16. Mai
1918 an der Weftfront als Pionierleut»
nant). Gedächtnisausftellung im
Kunftgewerbemufeum zu Frank»
furt am Main. Die im verfloßenen
Monat von dem Mitteldeutlchen Kunft»
gewerbeverein, dem Bund deutfeher Archi»
tekten, Ortsgruppe Frankfurt am Main,
dem Verein Frankfurter Kunftfreunde und
dem Frankfurter Architekten» und Inge»
nieur»Verein veranftaltete, fehr reichhal»
tige Gedächtnisausftellung galt einem der
liebenswürdigften Frankfurter Baukünltler.
Wie das Leben, fo wußte der mit knapp
37 Jahren vor dem Feind Gefallene auch
die Kunft von der leichten, der har»
monifchen Seite aus zu nehmen. Mit
einer Sicherheit des Geffaltens fonder»
gleichen zeichnete er in kürzefter Frift die
größten Planungen hin. Sein fchaffens»
frohes, ganz unproblematifches Talent
plagten keine Skrupel noch Zweifel. Nie»
mals fetzte er fich dem Zeitgeift mit eigen»
willigem Künftlertrotz entgegen, fondern
er nahm ftets deffen Strömungen gerne in
fein Naturell auf, der kunlthiftorifchen
Mode freilich dann durch eine großzügige
Form innere Feftigung und geiftige Be»
ftimmtheit verleihend.
Als Sechzehnjähriger wollte der Real»
fchüler Carl Leonhardt Maler werden und
zeichnete in der Frankfurter Altftadt, in
Sachfenhaufen ufw. romantifche Motive.
Diefe malerifche Betätigung fetzt er auch
noch mannigfaltig fort, als er 1900/1901
die Technifche Hochfchule in Karlsruhe be»
zieht, um dort »Schäfer»Schüler« zu wer»
 
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