Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler
— 54.1918/1919
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0126
DOI Heft:
Nr. 6
DOI Artikel:Literatur
DOI Artikel:Friedländer, Max J.: [Rezension von: E. Waldmann, Albrecht Dürers Handzeichnungen]
DOI Artikel:Notizen
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116
LITERATUR
E. Waldmann, Albrecht Dürers
Handzeichn ungen. Des Dürer-Buches
dritter Teil. Infelverlag, Leipzig, 1918.
Mit diefem dritten Band ift Waldmanns
Dürer = Buch zum AbfchlulTe gekommen.
Von den früher erlchienenen Teilen war
hier fchon kurz die Rede. Im erften Bande
find die Gemälde abgebildet, im zweiten
Kupferftiche und Holzfdmitte, im dritten
80 Zeichnungen. Der Titel des dritten
Teils bezieht fich auf die Illuftration, nicht
aber auf den Text, der, wie im Vorwort
zum erften Bande befprochen ift, über
»Dürers Stil« handelt. Unter Stil ver-
fteht der Verfafier Form und bemüht lieh,
die Form von dem Inhalt zu trennen.
Dem »Wefen der Dürerfchen Kunft« ift
ja der zweite Band gewidmet, wo von
dem Geiftigen und Dichterifchen die Rede
ift. Die Form nicht nur der Zeichnungen,
fondern auch der Holzlchnitte, Kupfer-
ftiche und Bilder wird analyfiert, ein wenig
im Geifte Wölfflins, aber nicht ohne
felbftändige Beobachtung. Die Entwick-
lung wird optimiftifch ausfchließlich als
Entfaltung gedeutet, als bewußtes Hin®
arbeiten auf das »Malerifche« und »Große«
gefchildert. Jede Stileigenlchaft wird nur
als Symptom diefer Entwicklung beachtet,
während die Kräfte außer acht bleiben,
die feitens der Aufgabe, des Formats, der
Technik auf die Stilbildung wirken.
Da der Verfafier die Monumente gut
kennt und in der ausgebreiteten Litera-
tur Befcheid weiß, find Ausftellungen im
einzelnen kaum nötig. Anmerken möchte
ich nur: daß die Architektur in dem Holz-
fchnitt der Darftellung im Tempel, im
Marienleben, einem franzöfifchen Perfpek-
tivbuche entnommen fei, ift Wifienfchaft
von geftern (umgekehrt: Pelerin hat Dürers
Holzfchnitt benutzt, vgl. Panofsky, Dürers
Kunfttheorie S. 24 Note 2>.
Mindeftens übertreibend Tagt W. von
dem Berliner Frauenporträt: das fo »Vene-
zianifche« feiner Atmofphäre komme wohl
auf Rechnung einer fpäteren Reftaurierung
mit ziemlich weitgehendem Verputzen.
Daß Raffael Dürern »einmal ein paar
Handzeichnungen gefchickt habe«, ift doch
wohl zweifelhaft und wird in der jüngeren
Literatur mit Recht nicht mehr zitiert.
Der Kupferftich mit dem hl. Philipp
zeigt bekanntlich ein Datum, das aus
1523 in 1526 geändert ift. Es gibt keinen
Abdruck mit der Zahl 1523. Und nie-
mand hat bisher in Zweifel gezogen, daß
Dürer felbft das Datum geändert hätte.
Waldmann fpricht von dem Mann, der die
Umdatierung vorgenommen habe, fcheint
alfo — fonderbarerweife — an nachträgliche
Verfälfchung der Datierung zu glauben.
Die Abbildungen find glücklich gewählt
und bieten reiche Mannigfaltigkeit in Hin-
ficht auf Abficht, Mittel, Thema und Zeit-
punkt. Nur zwei Zeichnungen fcheinen
mir nicht am Platz zu fein als fchwach
und fraglich, nämlich Nr. 3, das frühe
Blatt im Louvre mit der knienden Maria
vor dem liebenden Chriftus, und Nr. 35,
das Antlitz Chrifti auf dem Schweißtuche.
Die drei Bände im Ganzen bilden mit
den Abbildungen und dem leicht dahin-
fließenden Text eine glückliche Heran-
führung an Dürers Perfon und Kunft.
Diefer letzte Verfuch ift nicht nur des-
halb das befte, weil er der letzte ift und
von den neueften Ermittlungen profitiert:
fondern er hat fich auch durch die originelle
Auseinanderlegung des Stoffes einige Vor-
teile gefiebert. .Max J. Triedfänder.
NOTIZEN
NEKROLOGE
Egon Schiele f. Egon Schiele, einer
der begabteften unter den jüngeren Künft-
lern Ölterreichs, ift geftorben,- er ift acht-
undzwanzig Jahre alt —' der Grippe er-
legen, der nur zwei Tage vorher feine
blühende Gattin zum Opfer gefallen war.
Er war nicht von den Iffiöpferilchen Na-
turen, die eine Welt aufbauen,- aber er
befaß einen tielnohrenden Blick für die
Grauenhaftigkeit, die unter der fcheinbar
glatten Oberfläche der Dinge fchlummert.
LITERATUR
E. Waldmann, Albrecht Dürers
Handzeichn ungen. Des Dürer-Buches
dritter Teil. Infelverlag, Leipzig, 1918.
Mit diefem dritten Band ift Waldmanns
Dürer = Buch zum AbfchlulTe gekommen.
Von den früher erlchienenen Teilen war
hier fchon kurz die Rede. Im erften Bande
find die Gemälde abgebildet, im zweiten
Kupferftiche und Holzfdmitte, im dritten
80 Zeichnungen. Der Titel des dritten
Teils bezieht fich auf die Illuftration, nicht
aber auf den Text, der, wie im Vorwort
zum erften Bande befprochen ift, über
»Dürers Stil« handelt. Unter Stil ver-
fteht der Verfafier Form und bemüht lieh,
die Form von dem Inhalt zu trennen.
Dem »Wefen der Dürerfchen Kunft« ift
ja der zweite Band gewidmet, wo von
dem Geiftigen und Dichterifchen die Rede
ift. Die Form nicht nur der Zeichnungen,
fondern auch der Holzlchnitte, Kupfer-
ftiche und Bilder wird analyfiert, ein wenig
im Geifte Wölfflins, aber nicht ohne
felbftändige Beobachtung. Die Entwick-
lung wird optimiftifch ausfchließlich als
Entfaltung gedeutet, als bewußtes Hin®
arbeiten auf das »Malerifche« und »Große«
gefchildert. Jede Stileigenlchaft wird nur
als Symptom diefer Entwicklung beachtet,
während die Kräfte außer acht bleiben,
die feitens der Aufgabe, des Formats, der
Technik auf die Stilbildung wirken.
Da der Verfafier die Monumente gut
kennt und in der ausgebreiteten Litera-
tur Befcheid weiß, find Ausftellungen im
einzelnen kaum nötig. Anmerken möchte
ich nur: daß die Architektur in dem Holz-
fchnitt der Darftellung im Tempel, im
Marienleben, einem franzöfifchen Perfpek-
tivbuche entnommen fei, ift Wifienfchaft
von geftern (umgekehrt: Pelerin hat Dürers
Holzfchnitt benutzt, vgl. Panofsky, Dürers
Kunfttheorie S. 24 Note 2>.
Mindeftens übertreibend Tagt W. von
dem Berliner Frauenporträt: das fo »Vene-
zianifche« feiner Atmofphäre komme wohl
auf Rechnung einer fpäteren Reftaurierung
mit ziemlich weitgehendem Verputzen.
Daß Raffael Dürern »einmal ein paar
Handzeichnungen gefchickt habe«, ift doch
wohl zweifelhaft und wird in der jüngeren
Literatur mit Recht nicht mehr zitiert.
Der Kupferftich mit dem hl. Philipp
zeigt bekanntlich ein Datum, das aus
1523 in 1526 geändert ift. Es gibt keinen
Abdruck mit der Zahl 1523. Und nie-
mand hat bisher in Zweifel gezogen, daß
Dürer felbft das Datum geändert hätte.
Waldmann fpricht von dem Mann, der die
Umdatierung vorgenommen habe, fcheint
alfo — fonderbarerweife — an nachträgliche
Verfälfchung der Datierung zu glauben.
Die Abbildungen find glücklich gewählt
und bieten reiche Mannigfaltigkeit in Hin-
ficht auf Abficht, Mittel, Thema und Zeit-
punkt. Nur zwei Zeichnungen fcheinen
mir nicht am Platz zu fein als fchwach
und fraglich, nämlich Nr. 3, das frühe
Blatt im Louvre mit der knienden Maria
vor dem liebenden Chriftus, und Nr. 35,
das Antlitz Chrifti auf dem Schweißtuche.
Die drei Bände im Ganzen bilden mit
den Abbildungen und dem leicht dahin-
fließenden Text eine glückliche Heran-
führung an Dürers Perfon und Kunft.
Diefer letzte Verfuch ift nicht nur des-
halb das befte, weil er der letzte ift und
von den neueften Ermittlungen profitiert:
fondern er hat fich auch durch die originelle
Auseinanderlegung des Stoffes einige Vor-
teile gefiebert. .Max J. Triedfänder.
NOTIZEN
NEKROLOGE
Egon Schiele f. Egon Schiele, einer
der begabteften unter den jüngeren Künft-
lern Ölterreichs, ift geftorben,- er ift acht-
undzwanzig Jahre alt —' der Grippe er-
legen, der nur zwei Tage vorher feine
blühende Gattin zum Opfer gefallen war.
Er war nicht von den Iffiöpferilchen Na-
turen, die eine Welt aufbauen,- aber er
befaß einen tielnohrenden Blick für die
Grauenhaftigkeit, die unter der fcheinbar
glatten Oberfläche der Dinge fchlummert.