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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 2
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Literatur
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Dülberg, Franz: [Rezension von: A. E. Brinckmann, Michelangelo Buonarroti als Bildhauer]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0049

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39

LITERATUR

A. E. Brinckmann, Michelangelo
Buonarroti als Bildhauer, <Sonder«
druck aus dem Handbuch der Kunft«
wiflenfchaft, Berlin«Neubabelsberg, Aka«
demifche Verlagsgefellfchaft Athenaion.>
Der VerfalTer, der eine glückliche Mittel«
Heilung zwilchen theoretifcher Kunftlehre
und praktilch baumeilterlicher Betätigung
einnimmt, lucht lieh in diefer Schrift, die
er als den ernfthaften Anfatz zu einem
Seitenftück feines früheren Werkes »Bau«
kunft des 17. und 18. Jahrhunders« be«
trachtet zu fehen wünfeht, mit Michelangelo
als dem ftärkften perfönlichen Anftoß der
heute noch geltenden Auffalfung der Men«
fchengeftalt als Raumerlebnis auseinander«
zufetzen. Sparfam find die Andeutungen,
in denen die doch wohl vorhanden ge«
wefene Nabelfchnur zwifchen dem Floren«
tiner Riefenkrüppel und feinen quattro«
centiftifchen Vorgängern geifiig wiederher«
geftellt wird,- viel lieber weift Brinckmann
Ichon gegenüber dem Jugendrelief des Zen«
taurenkampfes auf die zahlreichen und
doch immer felbftändig verwerteten Re«
minifzenzen an die Antike hin, — damals
bekannte und erftfpäter aufgedeckte Antike,
die der Blick des Einzigen aber auch aus
abgeblaßten Reften oder Wiedergaben er«
fchließen konnte. Mit originellen, aus ge«
nauer Anfchauung gewonnenen Gründen
wird die Madonna an der Brücke in der
kurzen Zeit des venezianifdien Aufent«
halts untergebracht. Die Mithilfe an der
Bolognefer Area erfcheint, mehr als viel«
leicht nötig war, als trockene Schulzeit.
Ob der Verfuch, den Berliner Giovannino
als botticelleskes, unter dem Einfluß des
Medici=Gefchmacks gearbeites Werk Mi«
chelangelos zu retten, gelingen wird, kommt
mir trotz mancher technifchen Übereinftim«
mung mit fieberen Stücken des Meifters
zweifelhaft vor. Wie anders wirkt das
Zeichen des Florentiner Bacchus auf uns
ein, deflen den Barberinilchen Faun kaum
überbietende Derbheit ich nicht fo ftark
empfinde wie der VerfalTer! Bei der Be«
urteilung der als Aufbau grandiofen, in
der Haltung der Chriftusgeffalt mißglückten
Pieta der Peterskirche wagt lieh die Ver«
teidigung zu weit vor,- die Kontrahierung

mit der vielfach als Werk Botticellis be«
ftrittenen, nicht fonderlich frifch wirkenden
Beweinung Chrifti in München benach-
teiligt den feinften Lyriker des Quattro«
cento ein wenig. Im Davidskoloß finde
ich neben aller durch den verhauenen Block
verfchuldeten Gezwungenheit mehr ver-
haltene Spannung, als Brinckmann hier nach«
empfindet: der derbfchlanke Junge weiß
wirklich, es geht um Tod und Leben.
Bei der Brügger Madonna könnte man
neben dem verfchiedentlich vermuteten Ein«
fluß altniederländifcher Bilder auch die For«
derungen der Nifchenarchitektur, die dem
Künftler vielleicht bekanntgegeben war, als
Anlaß der merkwürdigen von der fpielen«
den Handlung des Kindes abweichenden
Starrheit der nachdenklichen Mutter an«
fprechen. Als ein ganz Moderner zeigt
fich Michelangelo dann in der mit un«
mittelbarer Frifche gefehenen, trüb heraus«
blickenden Pitti«Mädonna.
Reiche geiftige Arbeit wird an die ver«
fchiedenen Entwicklungsphafen des Julius«
grabs gewandt, wobei die freilich nur bei
einigem guten Willen beweiskräftige Ber«
liner Sacchetti«Zeichnung durch die ge«
naue Beobachtung der in den Dokumenten
überlieferten Maße an Bedeutung gewinnt
und eine der Erfchließung der innerlich ge«
reifteften vorletzten Faflung des in fich zu«
fammenftürzenden Planes dienende warm
verteidigte Hypothefe ftützen hilft. Ge«
Ichah dem Papft wirklich fo großes Un«
recht, als fein Denkmal im wefentlichen
auf die im rhythmifchen Fluß der Bart«
haare und der Adern fo ftark fprechende
Mofesgeftalt befchränkt wurde? Für ihre
Gewalt findet denn auch Brinckmann keines«
wegs billige, dichterifches Empfinden ver«
ratende Worte.
Mit noch zäherer Energie als beim Julius«
grab fehen wir den geiftigen Sprung des
Kunfthiftorikers durch die Jahrhunderte
zurück in die Werkftatt Michelangelos ge«
wagt bei dem Verfuch des Wiederaufbaus
der vier aufeinander erfolgenden Pläne für
die Medicigräber. In den vier Jahren von
1520 —1523 muß der ruhelos seine Pläne
wälzende Meifter die ganze Vorftellungs«
reihe von einer freiftehenden Grabmals«
 
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