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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 14
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Tietze-Conrat, Erica: Simultane und sukzessive Künste
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0293

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SIMULTANE UND SUKZESSIVE KÜNSTE
VON E. TIETZE-CONRAT

283

DIE äußerlichfte und darum für den täglichen Gebrauch geeignetfte Ein-
teilung der Künfte ift die in fimultane und fukzeffive. Die fimultanen
wären die »bildenden Künfte«: Architektur, Skulptur und Malerei, zu den
fukzeffiven find die Mufik und die Dichtung zu zählen. Von verfchiedenen
Gefichtspunkten aus wurde über diefe äußerliche Scheidung hinaus eine dem
innerlichen Wefen der Künfte näherkommende Gemeinfamkeit gefucht.
Zuerft war es die bildende Kunft, die ihren fimultanen Charakter ver-
lor,- fchon Herbart hat ihren fukzeffiven Charakter erkannt. Unabhängig
von feiner Lehre befchäftigt fich Schmarfow und feine Schule mit der rhyth-
mifchen Analyfe der Baukunft, die gleichfalls ein fukzeffives Aufnehmen
vorausfetzt. In dem beziehungsreichen und anregenden Buch von Oskar
Walzel über die »Wechfelfeitige Erhellung der Künlte, Ein Beitrag zur
Würdigung kunftgefchichtlicher Begriffe« <Berlin 1917) wird zu Schmarfows
Anfichten Stellung genommen, vor allem feine 1915 erfchienenen »Kompo-
fitionsgefetze in der Kunft des Mittelalters« nachgeprüft, in denen die rhyth-
mifchen Gefetzmäßigkeiten der Verslehre auf die Architektur angewendet
werden. Schmarfow ift immer auf das Rhythmifche eingeftellt, das, wenn
es auch zumeift ein Wefentliches im Kunftwerk ift, dennoch nicht jedes er-
fchöpft. »Das wandernde Auge wird ebenfo auf Kunftwerke treffen, die
ihm rhythmifchen Gang vorfchreiben, wie auf Kunftwerke, die zu rhyth-
mifcher Bewegung keinen Anlaß bieten« <Walzel, S. 16>. Ich felbft habe
z. B. die einfache <nicht rhythmifche> fukzeffive Erfaffung des Bildganzen zur
Vorausfetzung des Stimmungs-' und Bewegungseindruckes gemacht, indem ich
von dem komplizierteren Verhältnis zur RaumperfpektiveL und von der ein-
fächeren pfychologifchen Grundtatfache der Links-Rechts -Wirkung 1 2> ausging.
Und die Lefer der Kunftchronik Nr. 11 werden in Hagens zum Weiter^
denken anreizenden Ausführungen ein ähnliches Ziel verfolgen fehen.
So fcheint es alfo feftzuftehen, daß die bildende Kunft, wenn man nun
einmal eine wefentliche Arbeit vom Werk auf den Befchauer abwälzt, eine
fukzeffive Kunft ift. Dem möchte nur Deflbir widerfprechen, falls ich aus
feinem Auffatz »Über das Befchreiben von Bildern« 3> richtig folgere,- für ihn
gilt der erfte, der augenblickliche Eindruck, der ihm einen flüchtigen, aber
charakteriftifchen Überblick über das Bild fiebert. Diefer Augenblick kann
1) Die Linearkompofition bei Tizian, Innsbruck 1915 — und meine Befprechung von
Sauerbedcs Älthetifdier Perfpektive in den Kunltgefdiichtlichen Anzeigen 1911.
2> Mitteilungen der Gefellfdiaft für vervielfältigende Kunft 1918. Heft 2/3.
3> Zeitfdhrift für Älthetik 1913.
 
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