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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 13
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Literatur
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[Rezension von: Eugen Lüthgen, Die niederrheinische Plastik von der Gotik bis zur Renaissance]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0273

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LITERATUR

263

Eugen Lüthgen, Die niederrhei®
nifche Plaftik von der Gotik bis
zur Renaiffance. Studien zur deut®
fchen Kunftgefchichte, Heft 200. Straß®
bürg, Heitz, 1917.
Diefes Werk breitet auf 556 Seiten und
in mehr als 200 guten Abbildungen eine
gewaltige Stoffmenge aus. Der Verfaffer
befitzt eine umfangreiche Kenntnis des
Tatfachenmaterials und des Schrifttums.
Dennoch bereitet das Durcharbeiten des
Bandes keine reine Freude, Die Zahl der
Druckfehler ift unermeßlich; die Anmer®
kungen find teils unter den Text geftreut,
teils am Schluffe des Bandes vereinigt;
ganz am Ende aber findet lieh noch ein
Textkapitel, auf das ein Teil der voraus-
gehenden Anmerkungen Bezug nimmt;
die Abbildungen tragen keine Unter®
fchriften. Die Benutzung des Buches ift
alfo nicht gerade bequem gemacht. Und
die Mängel der äußeren Ordnung machen
fich auch im Inhalt bemerkbar. Das neu
gebotene Material wird nicht in der Form
eines kritifchen Kataloges vorgeftellt, fon®
dern fofort in den Gang einer großen Ent®
wicklungsgefchichte eingereiht. Diefe felbft
indes ift nicht ftraff durchgeführt, fondern
zerflattert in zahllofe locker aneinander-
gereihte Einzelerörterungen mit häufigen
Wiederholungen. Schwerlich laßen fich
größere Gegenfätze der Darftellungsweife
denken, als die überzeugende, knappe
Klarheit Wölfflins, dem das Buch gewieft
met ift, und die ungebändigte Breite Lüth®
gens, dem die Fülle der Geflehte den Blick
für das Einzelne trübt. Zu diefer Breite,
die fich in immer neuen Abfchweifungen
vom Thema gefällt, kommt jedoch als be®
fonders bedenklich eine Oberflächlichkeit,
deren Folge unaufhörliche Irrtümer und
Ungenauigkeiten find. So muß, bei aller
Anerkennung, die der Weite des Gefichts®
kreifes und dem Kenntnisreichtum des Ver®
faffers gebührt, das Urteil gegenüber dem
tatfächlich Erreichten zurückhaltend fein.
Verfluchen wir, es durch die Tatflachen zu
belegen.
In den Einleitungskapiteln wird Coura®
jods Thefe über den Einfluß des nieder®
ländifchen Realismus auf dieKunft Frank®

reichs, die von namhaften franzöfifchen
Forfchern wie Enlart, Koechlin, Michel
längft begraben ift, einer nochmaligen
Widerlegung wert erachtet. Ferner wird
hier mit der alten, noch immer lebens®
kräftigen Behauptung des Einflußes der
Myfterienbühne auf die bildende Kunft
des Mittelalters aufgeräumt,- nicht ein Ab®
hängigkeitsverhältnis befteht, fondern hoch®
ftens ein Parallelismus.
Das dritte Kapitel gilt der Darftellung
der Entwicklung der niederländifchen und
burgundifchen Bildnerkunft im 14. und
15. Jahrhundert. Gegenüber Henri Stein
und Pit, die, auf Grund willkürlicher Ur®
kundenauslegung, Sluter aus der Mainzer
Überlieferung herleiten wollen, zeigt Lüth®
gen, in Übereinftimmung mit Kennern,
wie Kleinklausz und Germain, daß feine
Kunft weder aus der mittelrheinilchen
Überlieferung, noch aus jener feiner Hei®
mat Holland erklärt werden kann. Wo
aber find die Keime diefer neuen ver®
fchärften Naturanfchauung, diefer bisher
unbekannten Gewichtigkeit und Breite zu
finden? Lüthgen geht dem Problem aus
dem Wege, obgleich fchon Courajod,
fpäter Michel und Germain wertvolle
Fingerzeige gegeben haben. Die Unter®
fuchung muß von der Muttergottes am
Mittelpfeiler des Portales der Kartaufe
bei Dijon ausgehen. Sie zeigt die Kunft
Sluters in ihren Anfängen, mit dem älte®
ren franzöfifchen Herkommen verwachfen,
vielleicht die Kunft der Dijoner Werkftatt
vor feiner Ankunft, »II est en tous cas
raisonnable«, fchreibt fchon 1907 Michel
in der Histoire de l'art, III 1, S. 388, »de
supposer que MarviIle qui avec Drouet
de Dammartin avait arrete des 1384
l'ordonnance generale du portail, avait
eu le temps avant sa mort <1389> d'exe®
cuter, sinon toute la statue de la Vierge
qui devait y occuper la place d'honneur,
du moins le modele de ce morceau ca-
pital.« Johann von Marville aber ift
Franzofe,- er arbeitet 1369 in Rouen. Ift
er wirklich für die Muttergottes der Kar®
taufe verantwortlich, fo verringert fich die
felbftändige Bedeutung Sluters. Diefer
Frage hätte Lüthgen nachgehen müßen,
 
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