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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 8
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Über die Kunst im neuen Staat
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0158

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148

ÜBER DIE KUNST IM NEUEN STAAT
haben lieh einige Künftler zu unferer Redaktion geäußert; wir veröffentlichen
zunächft die folgenden bedeutfamen Briefe:
*
Es hält ja für mich fchwer, meine Stellung zum eventuellen neuen Staat
zu präziheren — fie kann nicht anders fein, als fie zum bisherigen Staat war.
Das Ziel aller Kunft ift auf die Menfchheit gerichtet — niemals auf eine zu-
fällige und zeitweilige Zufammenballung, die (ich Staat nennt. Der monar-
chiftifch^kapitaliftifche Staat war daher aller Kunft ebenfo feindlich gefmnt wie
es der boffchewiftifch-fozialiftifch bafierte fein wird. Er wird genau fo nur
die Künftler fördern, die feinen Zwecken dienen und die verfolgen, deren
Ziele darüber hinausgehen. Für die Kunft hat fich alfo gar nichts geändert.
Sie bleibt weiter ausgefchloffen. KARL 5CHMIDEROT7LUTT.
Alle Maikäfer find gleich, aber fie haben keine Kunft. Gleichheit —
Freiheit: contradictio in adjecto. TH. TH. HEINE.
Ich gehöre nicht zu den bürgerlichen Peffimiften, die meinen, daß ein fozia^
liftifches Staatswefen der künftlerifchen Produktion hemmend im Wege ftehen
könnte. Die Förderung aller echten und unabhängigen Kunftbeftrebungen
liegt vielmehr im Wefen des Sozialismus feit begründet, und gerade dem
Proletariat ift gegenüber dem völlig indifferenten Verhalten der bürgerlichen
Schichten zu allen lebendigen Kunftfragen ein lebhaftes Interefle und eine oft
bezeugte Hochachtung für Kunft eigen. Freilich wird die Produktion der
Kunft in der bisherigen Weife nicht weitergeführt werden können. Die Kunft
ift ein Produkt ihrer epochalen gefellfchaftlichen und ökonomifchen Verhältniffe,
deren Struktur fich jetzt von Grund auf ändert. Mit zwingender Notwen-
digkeit werden fich die Formen der künftlerifchen Produktion der neuen Ge-
fellfchaftsordnung anpalfen müffen. Die revolutionäre Bewegung des Geiftes
ift nicht neu, und man darf fie nicht nur als Folgeerfcheinung der politifch-
wirtfchaftlichen Umwälzung werten. Auf dem Gebiete der Kunft entftand fie
als Reaktion auf den akademifch-bürokratifchen Kunftbetrieb, der vielfach kunft-
fremden, dynaftifchen Zwecken diente und feinen niederhaltenden Druck jeder
freien Kunftübung gegenüber ausübte. Andererfeits forgte ein kapitalkräftiger
Kunfthandel nur für die Bedürfniffe der begüterten Kreife, während die Maffen,
die Träger jeder großen Kunftbewegung, unberührt abfeits ftanden. Diefe
Maffen mit ihrem unverbildeten und naiven Anfchauungsvermögen zu er-
obern, ift der kommenden Künftlergeneration vorbehalten. Die Kunft der
neuen Zeit wird fich nicht mehr an ein Publikum wenden, fondern an die
ganze Menfchheit. Der Sozialismus ift berufen, der Kunft, die bisher koft-
 
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