KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
NR. 7 29. NOVEMBER 1918
KUNST UND REVOLUTION
VON CURT GLASER
ES ift das Schickfal jeder großen Umwälzung, daß fie Schlagworte an die
Oberfläche treibt, die aus einer echten Empfindung geboren, fehr rafch
zu einem abgegriffenen Klifchee werden. Alte Ideale werden verwirklicht.
Revolution ift nicht mehr heimliche Sehnfucht, fondern das Ereignis der Stunde.
Freiheit ift nicht mehr ein Ruf, der aus dunklen Kerkern empordringt, fon-
dern fie ift ein Gefchenk des neuen Tages. Und alles drängt fich heran,
auch fein Teil beizutragen zur Revolution, auch fein Teil Freiheit zu er-
ringen. So bleibt die Kunft nicht fern. Die Künftler regen fich und fordern
ihr Recht auf Freiheit, predigen ihre befondere Art der Revolution. Aber
noch ehe das Wort ausgefprochen ift, will es im Munde erfterben, denn es
zeigt fich, daß die Ideale ihre Stoßkraft verloren haben, feitdem fie in die
Wirklichkeit herabgeftiegen find. Es zeigt fich, daß mit einem Schlage die
alten Angriffe einen ganz anderen Sinn erhielten. Mit ihrem Siege felbft
erfcheint die Revolution verbürgerlicht. Die Künftler rufen weiter nach Freiheit.
Aber wenn fie aufrichtig find, fo geliehen fie, daß ihnen früher auch wenig
zur vollen Freiheit fehlte. Sie durften fchaffen, was fie wollten. Sie durften
zeigen, was fie wollten. Und fogar an materiellen Erfolgen fehlte es felbft
den Freieften und Unabhängigften unter ihnen nicht. Ganz zu fchweigen
von der Schar begeifterter Apoftel, die ihr Schaffen mit hymnifchen Ergüßen
begleitete. Daß die ftaatliche Anerkennung ein wenig zögerte, war das einzige
Hemmnis, das blieb, und daß es nicht ganz an Widerfpruch fehlte, fpornte
nur noch den Ehrgeiz nach radikalfter Befreiung von alten Bindungen.
Die Kunft hat ihre Revolution in der Tat fchon mindeftens zwei Jahr-
zehnte hinter fich. Sie hat gründlicher mit den überkommenen Formen auf-
geräumt, als irgendeine politifche Sekte es zu tun vermöchte. Es wurde alles
geleugnet, und vor dem letzten und kühnften Nihilismus fchreckte man nicht
zurück. Es foll nichts gegen diefe Bewegung gefagt fein, die immer mehr
als ein notwendiger Prozeß erfcheint, denn diefe Auflöfung der Kunft trieb
ftarke und eigenartige Blüten.
Wenn aber nun die letzten Hemmniffe fallen, wenn der Widerftand, der
von der Perfon des Kaifers und von dem konfervativen Verwaltungsapparat
ausging, befeitigt ift, fo wird auf einmal auch die revolutionäre Kunft ihre
Stoßkraft eingebüßt haben. Wo fie anzurennen fucht, wird fie ins Leere ftoßen,-
Nr. 7. 29. XI. 18.
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
NR. 7 29. NOVEMBER 1918
KUNST UND REVOLUTION
VON CURT GLASER
ES ift das Schickfal jeder großen Umwälzung, daß fie Schlagworte an die
Oberfläche treibt, die aus einer echten Empfindung geboren, fehr rafch
zu einem abgegriffenen Klifchee werden. Alte Ideale werden verwirklicht.
Revolution ift nicht mehr heimliche Sehnfucht, fondern das Ereignis der Stunde.
Freiheit ift nicht mehr ein Ruf, der aus dunklen Kerkern empordringt, fon-
dern fie ift ein Gefchenk des neuen Tages. Und alles drängt fich heran,
auch fein Teil beizutragen zur Revolution, auch fein Teil Freiheit zu er-
ringen. So bleibt die Kunft nicht fern. Die Künftler regen fich und fordern
ihr Recht auf Freiheit, predigen ihre befondere Art der Revolution. Aber
noch ehe das Wort ausgefprochen ift, will es im Munde erfterben, denn es
zeigt fich, daß die Ideale ihre Stoßkraft verloren haben, feitdem fie in die
Wirklichkeit herabgeftiegen find. Es zeigt fich, daß mit einem Schlage die
alten Angriffe einen ganz anderen Sinn erhielten. Mit ihrem Siege felbft
erfcheint die Revolution verbürgerlicht. Die Künftler rufen weiter nach Freiheit.
Aber wenn fie aufrichtig find, fo geliehen fie, daß ihnen früher auch wenig
zur vollen Freiheit fehlte. Sie durften fchaffen, was fie wollten. Sie durften
zeigen, was fie wollten. Und fogar an materiellen Erfolgen fehlte es felbft
den Freieften und Unabhängigften unter ihnen nicht. Ganz zu fchweigen
von der Schar begeifterter Apoftel, die ihr Schaffen mit hymnifchen Ergüßen
begleitete. Daß die ftaatliche Anerkennung ein wenig zögerte, war das einzige
Hemmnis, das blieb, und daß es nicht ganz an Widerfpruch fehlte, fpornte
nur noch den Ehrgeiz nach radikalfter Befreiung von alten Bindungen.
Die Kunft hat ihre Revolution in der Tat fchon mindeftens zwei Jahr-
zehnte hinter fich. Sie hat gründlicher mit den überkommenen Formen auf-
geräumt, als irgendeine politifche Sekte es zu tun vermöchte. Es wurde alles
geleugnet, und vor dem letzten und kühnften Nihilismus fchreckte man nicht
zurück. Es foll nichts gegen diefe Bewegung gefagt fein, die immer mehr
als ein notwendiger Prozeß erfcheint, denn diefe Auflöfung der Kunft trieb
ftarke und eigenartige Blüten.
Wenn aber nun die letzten Hemmniffe fallen, wenn der Widerftand, der
von der Perfon des Kaifers und von dem konfervativen Verwaltungsapparat
ausging, befeitigt ift, fo wird auf einmal auch die revolutionäre Kunft ihre
Stoßkraft eingebüßt haben. Wo fie anzurennen fucht, wird fie ins Leere ftoßen,-
Nr. 7. 29. XI. 18.