Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler
— 54.1918/1919
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DOI Heft:
Nr. 19
DOI Artikel:Grautoff, Otto: Eine Rodin-Affäre in Paris
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZE
NR. 19 21. FEBRUAR 1919
EINE RODIN-AFEÄRE IN PARIS
VON OTTO GRAUTOFF
ZWEI Jahre find noch nicht feit dem Tode Rodins vergangen und fchon
verfchwimmt die Geltalt des Meifters in einem Nebel von Legenden.
Gelebt hat Augulte Rodin. Das läßt fich heute nicht beitreiten, da gegen-
wärtig viele fich feiner perfönlich erinnern. Ob er zeichnen konnte, ilt
zweifelhaft geworden, Daß er nicht der Schöpfer derjenigen Marmor- und
Bronzewerke war, die unter feinem Namen die Welt erobert haben, foll
ficher fein, Rodin war überhaupt kein Bildhauer. Das fleht heute feit. Wie
dergleichen wahr zu fein pflegt.
Die erfle Legende um die Geltalt Rodins hat der deutfche Bildhauer
Benno Elkan in einem Auffatz »Die dritte Hand Rodins« in der Frank-
furter Zeitung vom 15. September 1918 gewoben, in dem Elkan den Befuch bei
einem Handwerker Rodins gelchildert hat, den er als feine dritte Hand be-
zeichnete. Elkan überzeugt befonders durch feine lyrifche Stimmung.
Während diefer Auffatz in Deutfchland gedruckt wurde, bereitete fich in
Paris — anfangs unter der Oberfläche — ein Myfterium vor, in dem nicht
nur die dritte Hand, fondern fogar vierte und fünfte Hände Rodins, einige
Schieber, Leonce Benedite und Rodins treuefte Freundin Judith Cladel die
handelnden Perfonen find.
Nüchtern gefprochen: die Parifer Künfllerweltj wird gegenwärtig durch
einen'Rodinfkandal erregt, der den typifchen Charakter aller Parifer Skandale
trägt. Zuerfl fteigen einige Blafen auf, die erkennen lallen, daß in der Tiefe
irgend etwas vorgeht. Dann bricht der Skandal offen hervor. Die Übeltäter
werden öffentlich an den Pranger geftellt. Dann leugnen fie, erheben Wider-
klage, die erften Ankläger fchweigen und alles verfchwimmt in einem unent-
wirrbaren Dunkel.
Der erfle Vorbote des Rodinfkandals war pin leidenfchaftlicher Proteft-
artikel von Judith Cladel in Clemenceaus »Homme libre« vom 30. Januar 1918
gegen Rodins Teflamentsvollftrecker. »Wenn wir nicht im Kriege ftänden,«
beendete Judith Cladel ihren Artikel, »hätten wir jetzt einen Rodinfkandal.«
Bis zum Kriegsfchluß hörte man nichts mehr über diefe Angelegenneit.
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZE
NR. 19 21. FEBRUAR 1919
EINE RODIN-AFEÄRE IN PARIS
VON OTTO GRAUTOFF
ZWEI Jahre find noch nicht feit dem Tode Rodins vergangen und fchon
verfchwimmt die Geltalt des Meifters in einem Nebel von Legenden.
Gelebt hat Augulte Rodin. Das läßt fich heute nicht beitreiten, da gegen-
wärtig viele fich feiner perfönlich erinnern. Ob er zeichnen konnte, ilt
zweifelhaft geworden, Daß er nicht der Schöpfer derjenigen Marmor- und
Bronzewerke war, die unter feinem Namen die Welt erobert haben, foll
ficher fein, Rodin war überhaupt kein Bildhauer. Das fleht heute feit. Wie
dergleichen wahr zu fein pflegt.
Die erfle Legende um die Geltalt Rodins hat der deutfche Bildhauer
Benno Elkan in einem Auffatz »Die dritte Hand Rodins« in der Frank-
furter Zeitung vom 15. September 1918 gewoben, in dem Elkan den Befuch bei
einem Handwerker Rodins gelchildert hat, den er als feine dritte Hand be-
zeichnete. Elkan überzeugt befonders durch feine lyrifche Stimmung.
Während diefer Auffatz in Deutfchland gedruckt wurde, bereitete fich in
Paris — anfangs unter der Oberfläche — ein Myfterium vor, in dem nicht
nur die dritte Hand, fondern fogar vierte und fünfte Hände Rodins, einige
Schieber, Leonce Benedite und Rodins treuefte Freundin Judith Cladel die
handelnden Perfonen find.
Nüchtern gefprochen: die Parifer Künfllerweltj wird gegenwärtig durch
einen'Rodinfkandal erregt, der den typifchen Charakter aller Parifer Skandale
trägt. Zuerfl fteigen einige Blafen auf, die erkennen lallen, daß in der Tiefe
irgend etwas vorgeht. Dann bricht der Skandal offen hervor. Die Übeltäter
werden öffentlich an den Pranger geftellt. Dann leugnen fie, erheben Wider-
klage, die erften Ankläger fchweigen und alles verfchwimmt in einem unent-
wirrbaren Dunkel.
Der erfle Vorbote des Rodinfkandals war pin leidenfchaftlicher Proteft-
artikel von Judith Cladel in Clemenceaus »Homme libre« vom 30. Januar 1918
gegen Rodins Teflamentsvollftrecker. »Wenn wir nicht im Kriege ftänden,«
beendete Judith Cladel ihren Artikel, »hätten wir jetzt einen Rodinfkandal.«
Bis zum Kriegsfchluß hörte man nichts mehr über diefe Angelegenneit.