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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 15
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Hübner, Friedrich Markus: Der Sechzigjährige Jan Toorop
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0310

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DER SECHZIGJÄHRIGE JAN TOOROP
VON FRIEDRICH MARKUS HUEBNER
DER holländifche Maler Jan Toorop hat Ende 1918 fein fechzigftes Lebens^
jahr erreicht/ im Haag, wo der Künftler wirkt und wohnt, wird gegen-
wärtig diefes Jubiläum durch Abhaltung einer Ehrenausftellung gefeiert. Daran
nimmt die ganze reiche und gepflegte Herren^ und Frauenwelt diefer fchönen
Refidenzftadt teil,- denn Toorops Art weckt heute bei den feinen Leuten nicht
mehr das peinliche Befremden wie früher,- in den fchloßartigen Räumen des
Kunftfaals Kleykamp, wo offene Kaminfeuer verfchwenderifch kniftern, drängt
fich von früh bis abends das Volk der jungen, gutgekleideten Damen, der
vermögenden älteren Bilderliebhaber und der Malfchüler,- vor dem Portale der
weißen Villa fährt Kutfche nach Kutfche vor, und der Maler felbft hält gut-
gelaunt, wenn fchon hinkend auf den Krückftock angewiefen, vor den Intimen
Cercle. Entfchwunden find die Zeiten, da Profelfor L. C. Dake im Tele-
graaf <1909> die Meinung des holländifchen bürgerlichen Kunftverftändnilfes
in die Worte zufammenfalfen durfte: »Ich muß zu meinem Bedauern er-
klären, daß ich Jan Toorop für einen horriblen Maler halte. Seine Malweife,
die Durchführung, der Vortrag und die Farben find fchlechterdings unannehm-
bar.« Wodurch ward feitdem das Publikum über Toorop eines Belferen
belehrt? Hat fich Toorop die Schätzung desfelben wirklich durch die Tüchtig-
keit 'feines Tagewerkes endlich errungen? Oder find es Urfachen mehr
niederen Ranges, welche dem Künftler, wo fein Leben fich nun dem Ende
zuneigt, die allgemeine Aufmerkfamkeit Hollands endlich herbeibringen?
Jan Toorop ilt 1905 zur katholifchen Kirche übergetreten und ließ feit-
dem diefen menfchlichen und perfönlichen Schritt immer ftärker in dem Sachs
liehen feiner Kunftleiftungen anklingen. Zuletzt befchäftigte er fich ausfchließlich
mit den Gegenftänden der Heiligen Gefchichte und wurde auf diefe Weile als
Maler einer der wirkungskräftigften Vorkämpfer des katholifchen Kirdhentums
und Kirchenglaubens in Holland, wofür er bei feinem fechzigjährigen Ge^
burtstage vom Papfte durch die Verleihung des Sankt Sylvesterkreuzes aus-
gezeichnet wurde. In diefer Bekehrung eines ehemaligen Liebhabers krank-
hafter Zwifchenzuftände, erlefener geiftiger Verfalls Verfeinerungen und fremd-
artiger Sinnlichkeiten fcheint das holländifche Publikum heute die mondäne
Notwendigkeit zu finden, Toorops Ausheilung aufzufuchen und im Gefpräch
beim Nachmittagstee Wunders wie viel Wefens aus ihm zu machen. Ob
Toorops Kunft, nämlich die, welche am meiften ihn von anderen Künftlern
unterfcheidet, wo er keine Zugeftändnilfe macht und fich nicht auf einer mitt-
leren Gefühlsebene hält, wirklich der durchfchnittlichen Geiftigkeit in Holland
viel zu bieten und zu fagen hat, möchte zu bezweifeln fein.
 
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