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LITERATUR
Heffenkunftl919. Herausgegeben von
Dr. Chriftian Rauch. Bildfehmud; von
C. Bantzer und W. Ritter. Verlag von
N.G. Eiwert, Marburg.; 4°. 52 S. 2,65M.
Der 13. Jahrgang diefes preislichen »Jahr®
buchs für Kunft® und Denkmalspflege in
Helfen und im Rhein=Main=Gebiet« bringt
die Wiedergabe dreier Figurenzeichnungen
von Bantzer und einer Reihe von Land®
fchaften des bei Dresden wohnenden Land®
fchafters Wilhelm Ritter. Als Abhand®
lungen:B erlit, »Gerhard von Reutern,
der erfte Willingshäufer Maler«.
Der baltifche Künftler lebte von 1820 bis
1835 dauernd, fpäter zeitweife zu Willings®
häufen in der Schwalm. Er hat das Schwäl®
mer Land und die Schwälmer Landleute
für die Malerei entdeckt. Aus 1827 und
den folgenden Jahren ftammen feine erften
Bilder. Schoof, » Alt®Hersfeld« lenkt
die Blicke auf diefes malerifche heffifche
Städtchen und die gewaltige Ruine feiner
Stiftskirche (Bauzeit von 1058—1144). In
ihren Ausmeffungen übertrifft fie den
Kölner Dom. v. Baumbach, »Zim®
mermannskunft in Helfen« gibt Bei®
fpiele der ländlichen heffilchen Baukunft,
Die Bildnerei behandeln die Auffätze
Klingelfchmitts »Drei mittelrhei®
nifche Madonnen« und Großmanns
»Hans von Rodenftein«. Der letztere
weilt auf das wohl kaum bekannte Grab®
mal Hanfens <1418—1500> in Fränkifch®
Crumbach im Odenwald hin, eine Ritter®
geltalt mit prachtvollem Bildniskopf. Wer
war der Künftler? fragt der Verfafler.
Meifter Hans Backoffen zu Mainz? Ich
wage nicht zu bejahen. Der wichtigfte
Beitrag ift Klingelfchmitts Abhandlung.
Der Verfafler bildet drei Marienftand®
bilder ab, eins mit dem Kind bei Egon
Zerner in Frankfurt, ein gleiches in der
Karmeliterkirche zu Boppard und eine
Schutzmantelmuttergottes in der Kirche zu
Finthen bei Mainz. Die beiden erfteren
gehen in ihrem Stil etwas über die Nord®
grenze des mittelrheinifchen Gebiets hinaus.
Die Zernerfche Muttergottes flammt aus
Caflellaun im Hunsrück, und hat, nach dem
Bilde zu urteilen, eine gewiße ländlich
herbe Kraft, aber nicht die Süße der
eigentlich mittelrheinifchen Kunft, mit deren
bekannten Muttergottesbildern aus dem
15. Jahrhundert ich fie keineswegs eng
verwandt finde. Unbeträchtlicher ift das
Bopparder Marienbild. Sehr beachtens®
wert dagegen die fpäteSchutzmantelmutter®
gottes. Der Verfafler kennt fonft keine
Muttergottes mit dem Schutzmantel in der
mittelrheinifchen Bildnerei. Der Bericht®
erftatter ebenfowenig. Die Lücke mag
Zufall fein. In Schwaben ift das Motiv
fehr volkstümlich, wie man jetzt noch
fehen kann. Ich befürchte wegen diefes
Hinweifes auf Schwaben vom Verfafler
getadelt zu werden, gleich Paul Kautzfeh,
der von der »Schönen Maria« des Mainzer
Doms meint, daß fie von einem hochbe®
deutenden, wahrfcheinlich fchwäbifchen aber
unmöglich der mittelrheinifchen Kunft zu®
zurechnenden Künftler herrühre (Hans
Bachoffen, S. 76). Wie Chriftian Rauch
(Helfenkunft 1911, S. 9) und der Verfafler
bringe ich nämlich, feit ich fie kenne, die
Finthener Muttergottes mit der »Schönen
Maria« zufammen, denke aber — umge®
kehrt wie Kautzfeh — daß diefe von
einem mittelrheinifehen Künftler her®
rühre, der fchwäbifche Kunfl gefchmeckt
hat. Dem Mann muß Gregor Erhärt,
namentlich der Blaubeurer Altar, nicht
fremd gewefen fein. Wenn er nicht gar
fein Schüler war, was ich nicht weiß, fo
hat er doch feines Geiftes einen Hauch
verfpürt. Der jubelnde Hochgefang der
Himmelskönigin in Blaubeuren, diefes zu
einem Standbild verdichtete Magnifikat,
kommt nicht fobald zum zweitenmal in
der Bildnerei vor. Der Altar muß viele
fchwäbifche (und fränkifche,- vgl.Vöge, Der
Meifler des Blaubeurer Altars und feine
Madonnen ,• Monatshefte f. Kunftwiff. 1909,
S. 11 ff.> Bildfchnitzer beunruhigt haben.
Etwas von feinem ftolzen Rhythmus klingt
aus der »Schönen Maria«. Die in einer
fchüchternen Kammerherrnpofe zur Seite
flehenden zwei Bifchöfe erinnern in Stel®
lung (die zaghaft geneigten Schultern) und
Ausdruck auffallend an die zwei Bei®
LITERATUR
Heffenkunftl919. Herausgegeben von
Dr. Chriftian Rauch. Bildfehmud; von
C. Bantzer und W. Ritter. Verlag von
N.G. Eiwert, Marburg.; 4°. 52 S. 2,65M.
Der 13. Jahrgang diefes preislichen »Jahr®
buchs für Kunft® und Denkmalspflege in
Helfen und im Rhein=Main=Gebiet« bringt
die Wiedergabe dreier Figurenzeichnungen
von Bantzer und einer Reihe von Land®
fchaften des bei Dresden wohnenden Land®
fchafters Wilhelm Ritter. Als Abhand®
lungen:B erlit, »Gerhard von Reutern,
der erfte Willingshäufer Maler«.
Der baltifche Künftler lebte von 1820 bis
1835 dauernd, fpäter zeitweife zu Willings®
häufen in der Schwalm. Er hat das Schwäl®
mer Land und die Schwälmer Landleute
für die Malerei entdeckt. Aus 1827 und
den folgenden Jahren ftammen feine erften
Bilder. Schoof, » Alt®Hersfeld« lenkt
die Blicke auf diefes malerifche heffifche
Städtchen und die gewaltige Ruine feiner
Stiftskirche (Bauzeit von 1058—1144). In
ihren Ausmeffungen übertrifft fie den
Kölner Dom. v. Baumbach, »Zim®
mermannskunft in Helfen« gibt Bei®
fpiele der ländlichen heffilchen Baukunft,
Die Bildnerei behandeln die Auffätze
Klingelfchmitts »Drei mittelrhei®
nifche Madonnen« und Großmanns
»Hans von Rodenftein«. Der letztere
weilt auf das wohl kaum bekannte Grab®
mal Hanfens <1418—1500> in Fränkifch®
Crumbach im Odenwald hin, eine Ritter®
geltalt mit prachtvollem Bildniskopf. Wer
war der Künftler? fragt der Verfafler.
Meifter Hans Backoffen zu Mainz? Ich
wage nicht zu bejahen. Der wichtigfte
Beitrag ift Klingelfchmitts Abhandlung.
Der Verfafler bildet drei Marienftand®
bilder ab, eins mit dem Kind bei Egon
Zerner in Frankfurt, ein gleiches in der
Karmeliterkirche zu Boppard und eine
Schutzmantelmuttergottes in der Kirche zu
Finthen bei Mainz. Die beiden erfteren
gehen in ihrem Stil etwas über die Nord®
grenze des mittelrheinifchen Gebiets hinaus.
Die Zernerfche Muttergottes flammt aus
Caflellaun im Hunsrück, und hat, nach dem
Bilde zu urteilen, eine gewiße ländlich
herbe Kraft, aber nicht die Süße der
eigentlich mittelrheinifchen Kunft, mit deren
bekannten Muttergottesbildern aus dem
15. Jahrhundert ich fie keineswegs eng
verwandt finde. Unbeträchtlicher ift das
Bopparder Marienbild. Sehr beachtens®
wert dagegen die fpäteSchutzmantelmutter®
gottes. Der Verfafler kennt fonft keine
Muttergottes mit dem Schutzmantel in der
mittelrheinifchen Bildnerei. Der Bericht®
erftatter ebenfowenig. Die Lücke mag
Zufall fein. In Schwaben ift das Motiv
fehr volkstümlich, wie man jetzt noch
fehen kann. Ich befürchte wegen diefes
Hinweifes auf Schwaben vom Verfafler
getadelt zu werden, gleich Paul Kautzfeh,
der von der »Schönen Maria« des Mainzer
Doms meint, daß fie von einem hochbe®
deutenden, wahrfcheinlich fchwäbifchen aber
unmöglich der mittelrheinifchen Kunft zu®
zurechnenden Künftler herrühre (Hans
Bachoffen, S. 76). Wie Chriftian Rauch
(Helfenkunft 1911, S. 9) und der Verfafler
bringe ich nämlich, feit ich fie kenne, die
Finthener Muttergottes mit der »Schönen
Maria« zufammen, denke aber — umge®
kehrt wie Kautzfeh — daß diefe von
einem mittelrheinifehen Künftler her®
rühre, der fchwäbifche Kunfl gefchmeckt
hat. Dem Mann muß Gregor Erhärt,
namentlich der Blaubeurer Altar, nicht
fremd gewefen fein. Wenn er nicht gar
fein Schüler war, was ich nicht weiß, fo
hat er doch feines Geiftes einen Hauch
verfpürt. Der jubelnde Hochgefang der
Himmelskönigin in Blaubeuren, diefes zu
einem Standbild verdichtete Magnifikat,
kommt nicht fobald zum zweitenmal in
der Bildnerei vor. Der Altar muß viele
fchwäbifche (und fränkifche,- vgl.Vöge, Der
Meifler des Blaubeurer Altars und feine
Madonnen ,• Monatshefte f. Kunftwiff. 1909,
S. 11 ff.> Bildfchnitzer beunruhigt haben.
Etwas von feinem ftolzen Rhythmus klingt
aus der »Schönen Maria«. Die in einer
fchüchternen Kammerherrnpofe zur Seite
flehenden zwei Bifchöfe erinnern in Stel®
lung (die zaghaft geneigten Schultern) und
Ausdruck auffallend an die zwei Bei®