Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler
— 54.1918/1919
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Nr. 18
DOI article:Mayer, August Liebmann: Goyas Expressionismus
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GOYAS EXPRESSIONISMUS
VON AUG'UST L. MAyER
GOYA Expreffionilt ? Mancher Lefer mag zunächft den Kopf fchütteln,
eingedenk der Tatfache, daß gerade Goya als ein Begründer des Im-
preffionismus des 19. Jahrhunderts gefeiert wird. Diefe Tatfache foll hier
keineswegs Beitritten werden. Aber ich hoffe in den folgenden kurzen Aus-
führungen den Beweis dafür erbringen zu können, daß Goya nicht nur in
jenem allgemeinen Sinn Expreffionilt war, in dem jeder geniale Maler Ex-
preffionift genannt zu werden verdient, Giotto wie Lionardo, Rembrandt wie
Grünewald, fondern daß Goya fich felbft als Expreffionilt in modernem Sinn
betrachtete, einen Hauptpunkt des expreffioniftifchen Programms unübertreff-
lich formuliert hat und namentlich in den phantaftifchen Schöpfungen feiner
reifen und fpäten Zeit nur als Expreffionilt vollkommen verftändlich wird.
Ganz gewiß hat Goya, namentlich durch die Werke des Velazquez an-
geregt, optifche Eindrücke in einer Weife künftlerifch geformt, die man im-
preffioniftifch nennen muß und die bekanntermaßen auch den Impreffionismus
Manets und manches anderen Malers aus der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts mitbeftimmt hat. Aber Goyas Flächigkeit, fein Verzicht auf falfche
Plaftik, auf Rundungsfchatten, fein Weglaffen des Unwefentlichen charakteri-
fiert feine Kunft nur zur Hälfte. Nicht minder wefentlich ift, daß er in der
Darftellung der Bewegung nicht nur das rein Äußerliche hat fefthalten wollen,
wie einft Velazquez das Saufen des Spinnrades in feinen »Hilanderas«, fon-
dern daß er hier das Dynamifche unterftrich, der Bewegung eine befondere
Stärke als Ausdruchsmittel verlieh. Und wie er hier mehr als einmal be-
wußt zur Übertreibung fchritt, fo finden wir auch in der Zeichnung feiner
Köpfe und Hände jenes ganz auf Expreffion gelteilte Übertreiben, das zu-
weilen an die Karikatur grenzt und das charakteriftifcherweife von keinem
belfer verbanden worden ift, als von Daumier, der in dem Autor der Ca-
prichos feinen genialen Lehrer erblickte.
Es wäre ganz falfch, zu meinen, daß Goya wie Conftable und Manet
davon ausgegangen ift, uns ein farbiges Abbild der Natur mit möglichft ein-
fachen Mitteln auf die Leinwand zu zaubern. Wie für die im künftlerifchen
Geilt ihm Verwandten Tintoretto und Daumier, waren auch für Goya fchwarz
und weiß die fchönften Farben. Zu feinem Freunde Matheron fagte er em-
mal: »In der Natur gibt es ebenfowenig Farbe wie Linie. Nur die Sonne
exiftiert und die Schatten. Gib mir ein Stück Kohle und ich mache dir das
fchönfte Bild.« Die faft monochromen Malereien, mit denen der alternde
Meifter im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fein einfames Haus vor
den Toren Madrids fchmückte, find der fchlagendfte Beweis für die Richtig-
GOYAS EXPRESSIONISMUS
VON AUG'UST L. MAyER
GOYA Expreffionilt ? Mancher Lefer mag zunächft den Kopf fchütteln,
eingedenk der Tatfache, daß gerade Goya als ein Begründer des Im-
preffionismus des 19. Jahrhunderts gefeiert wird. Diefe Tatfache foll hier
keineswegs Beitritten werden. Aber ich hoffe in den folgenden kurzen Aus-
führungen den Beweis dafür erbringen zu können, daß Goya nicht nur in
jenem allgemeinen Sinn Expreffionilt war, in dem jeder geniale Maler Ex-
preffionift genannt zu werden verdient, Giotto wie Lionardo, Rembrandt wie
Grünewald, fondern daß Goya fich felbft als Expreffionilt in modernem Sinn
betrachtete, einen Hauptpunkt des expreffioniftifchen Programms unübertreff-
lich formuliert hat und namentlich in den phantaftifchen Schöpfungen feiner
reifen und fpäten Zeit nur als Expreffionilt vollkommen verftändlich wird.
Ganz gewiß hat Goya, namentlich durch die Werke des Velazquez an-
geregt, optifche Eindrücke in einer Weife künftlerifch geformt, die man im-
preffioniftifch nennen muß und die bekanntermaßen auch den Impreffionismus
Manets und manches anderen Malers aus der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts mitbeftimmt hat. Aber Goyas Flächigkeit, fein Verzicht auf falfche
Plaftik, auf Rundungsfchatten, fein Weglaffen des Unwefentlichen charakteri-
fiert feine Kunft nur zur Hälfte. Nicht minder wefentlich ift, daß er in der
Darftellung der Bewegung nicht nur das rein Äußerliche hat fefthalten wollen,
wie einft Velazquez das Saufen des Spinnrades in feinen »Hilanderas«, fon-
dern daß er hier das Dynamifche unterftrich, der Bewegung eine befondere
Stärke als Ausdruchsmittel verlieh. Und wie er hier mehr als einmal be-
wußt zur Übertreibung fchritt, fo finden wir auch in der Zeichnung feiner
Köpfe und Hände jenes ganz auf Expreffion gelteilte Übertreiben, das zu-
weilen an die Karikatur grenzt und das charakteriftifcherweife von keinem
belfer verbanden worden ift, als von Daumier, der in dem Autor der Ca-
prichos feinen genialen Lehrer erblickte.
Es wäre ganz falfch, zu meinen, daß Goya wie Conftable und Manet
davon ausgegangen ift, uns ein farbiges Abbild der Natur mit möglichft ein-
fachen Mitteln auf die Leinwand zu zaubern. Wie für die im künftlerifchen
Geilt ihm Verwandten Tintoretto und Daumier, waren auch für Goya fchwarz
und weiß die fchönften Farben. Zu feinem Freunde Matheron fagte er em-
mal: »In der Natur gibt es ebenfowenig Farbe wie Linie. Nur die Sonne
exiftiert und die Schatten. Gib mir ein Stück Kohle und ich mache dir das
fchönfte Bild.« Die faft monochromen Malereien, mit denen der alternde
Meifter im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fein einfames Haus vor
den Toren Madrids fchmückte, find der fchlagendfte Beweis für die Richtig-