DOI Heft:
Nr. 13
DOI Artikel:Wentscher, Erich: Künstler und Politik: ein offener Brief an Eduard von Bendemann
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0259
KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
NR. 13 10. JANUAR 1919
KÜNSTLER UND POLITIK
EIN OFFENER BRIEF AN EDUARD VON BENDEMANN
VON ERICH WENTSCHER
»War die politifche Reaktion mit der geiftig-äfihetifchen Reaktion
identifch, fo find wohl auf der anderen Seite mit wenigen Ausnahmen
alle diejenigen, die die Kunft um ihrer felbft willen vertraten, die die
Kunft unferer Zeit verftanden und für fie kämpften, auch politifch frei
und fortfchrittlich gefinnt gewefen,- ja, es dürfte ficher überrafchend fein
zu fehen, wie viele unferer beiten Künftler wenigltens innerlich dem
Sozialismus naheftanden. Ohne die künftlerifche Qualität irgendwie mit
der politifchen Gefinnung vermengen zu wollen, darf man wohl den
Satz wagen, daß ein großer Künftler unferer Generation nicht als poli-
tifcher Reaktionär gedacht werden kann.«
(Frankfurter Zeitung 330, 28. November)
ALS heimwärts marfchierender Künftler habe ich Ihre wichtigen Gedanken
über »Die Zukunft der bildenden Kunft« mit Freuden in mich aufge-
nommen. Es war wertvoll, darauf hinzuweifen, daß die franzöfifche Re-
volution nur eine Tendenz in die Kunft getragen, was wohl in Zeiten ftarker
Erregung leicht der Fall fein dürfte, und daß fie damit für die Malerei einen
Rückfchritt bedeutet hat. Es war wertvoll, eine Minderung des »zahllofen
Künftlerproletariates« zu fordern und der großen Maße ebenfo das Recht zu
äfthetifcher Entfcheidung abzufprechen wie der Bourgeoifie. Auch die Kunft
des imperialiftifchen Deutfchland ift ftharf genug gezeichnet. Auch da war zu
viel Auftrag, Gefchäft, Halbheit. Zu den bedenklichen Erfcheinungen der fpä-
teren Kriegszeit gehörte der reklamierte Künftler. Nach dem Konjunkturfturz
vom 9. November fand man fehr auffallende Namen unter »Künftlern«, die
Geh eilig auf den Boden der neuen Verhältnilfe, d. h. der fozialiftifchen Re-
publik, ftellten.
Geftatten Sie mir jedoch, daß ich einige Gedanken an Ihre Meinung vom
politifchen Liberalismus des echten Künftlers unferer Zeit, von feiner Hin-
neigung zum Sozialismus und feiner felbftverftändlichen Abneigung gegen jede
politifche Reaktion knüpfe.
Die Vorbedingung aller reinen Kunft wie aller menfchlichen Größe ift
die Perfönlichkeit. Zeiten und Umftände, die die Entwicklung von Per-
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
NR. 13 10. JANUAR 1919
KÜNSTLER UND POLITIK
EIN OFFENER BRIEF AN EDUARD VON BENDEMANN
VON ERICH WENTSCHER
»War die politifche Reaktion mit der geiftig-äfihetifchen Reaktion
identifch, fo find wohl auf der anderen Seite mit wenigen Ausnahmen
alle diejenigen, die die Kunft um ihrer felbft willen vertraten, die die
Kunft unferer Zeit verftanden und für fie kämpften, auch politifch frei
und fortfchrittlich gefinnt gewefen,- ja, es dürfte ficher überrafchend fein
zu fehen, wie viele unferer beiten Künftler wenigltens innerlich dem
Sozialismus naheftanden. Ohne die künftlerifche Qualität irgendwie mit
der politifchen Gefinnung vermengen zu wollen, darf man wohl den
Satz wagen, daß ein großer Künftler unferer Generation nicht als poli-
tifcher Reaktionär gedacht werden kann.«
(Frankfurter Zeitung 330, 28. November)
ALS heimwärts marfchierender Künftler habe ich Ihre wichtigen Gedanken
über »Die Zukunft der bildenden Kunft« mit Freuden in mich aufge-
nommen. Es war wertvoll, darauf hinzuweifen, daß die franzöfifche Re-
volution nur eine Tendenz in die Kunft getragen, was wohl in Zeiten ftarker
Erregung leicht der Fall fein dürfte, und daß fie damit für die Malerei einen
Rückfchritt bedeutet hat. Es war wertvoll, eine Minderung des »zahllofen
Künftlerproletariates« zu fordern und der großen Maße ebenfo das Recht zu
äfthetifcher Entfcheidung abzufprechen wie der Bourgeoifie. Auch die Kunft
des imperialiftifchen Deutfchland ift ftharf genug gezeichnet. Auch da war zu
viel Auftrag, Gefchäft, Halbheit. Zu den bedenklichen Erfcheinungen der fpä-
teren Kriegszeit gehörte der reklamierte Künftler. Nach dem Konjunkturfturz
vom 9. November fand man fehr auffallende Namen unter »Künftlern«, die
Geh eilig auf den Boden der neuen Verhältnilfe, d. h. der fozialiftifchen Re-
publik, ftellten.
Geftatten Sie mir jedoch, daß ich einige Gedanken an Ihre Meinung vom
politifchen Liberalismus des echten Künftlers unferer Zeit, von feiner Hin-
neigung zum Sozialismus und feiner felbftverftändlichen Abneigung gegen jede
politifche Reaktion knüpfe.
Die Vorbedingung aller reinen Kunft wie aller menfchlichen Größe ift
die Perfönlichkeit. Zeiten und Umftände, die die Entwicklung von Per-