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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 14
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Hagen, Oskar: Künstlerische Zeitfragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0288

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278
KÜNSTLERISCHE ZEITFRAGEN
VON OSKAR HAGEN
1 \ IES ift eine Zeit, geeignet, den Verluft Alfred Lichtwarks zu beklagen!
Adi, wie fehr brauchten wir ihn gerade jetzt! Mir fällt eine feiner frucht-
barften Schriften ein, »Die Erziehung des Farbenfinnes«. Vieles hat feither
ein anderes Ausfehen bekommen dank feiner kraftvollen Anregung. Wenn
auch nicht fo fehr dort, wo die »Erziehung« eigentlich am Platze wäre, beim
Kinde. Was dies betrifft, find wir heute noch auf einer Stufe mit jenem
deutfchen Miffionar in Ägypten, von dem man erzählt, er habe nach zwanzig-
jähriger Anfäffigkeit zwar das uralte Kult-Arabifch fprechen gelernt, fo daß
er imftande war, den Koran im Urtext zu lefen; allein, das moderne Fellachen-
idiom, das er gebraucht hätte, um bei den täglichen Einkäufen nicht übers
Ohr gehauen zu werden —, das zu lernen, hatte er noch keine Zeit gefunden.
Denn immer noch lernen wir in der Schule nur die Gefetze der Lichtbrechung
und Farbenentftehung — lernen fie an den Fingern herfchnurren. Aber zur
Erziehung der lebendigen Kraft — zum Farbenfehen oder gar Farben-
empfinden — dazu hat es noch nicht gelangt. Wozu eigentlich der Staat
Millionen und Millionen für Kunfterwerbungen und für den Unterhalt der
Heerfchar von Beamten ausgegeben hat? Um der kunfthiftorifchen Forfchung
Material zu geben? Oder — da das wohl kaum glaublich fcheint um
hinter »den Andern« nicht zurückzuftehen? Nun, daß unfere Mufeen auf der
Höhe find, ändert nichts daran, daß ihre Zweckhaftigkeit hinter der anderer
Staaten weit, weit zurückfteht. Auf feiten der Leiter liegt die Schuld nicht.
Wer geht hin? Was wird dort gefucht? Wenn in den Zeitungen einmal zu
lefen war, daß für eine Märchenfumme ein neues Werk befchafft war, dann
lief tout Berlin nach dem Mufeum. Nadiher wars aus, Bädeker und Berliner
Fremdenführer fpielten nach wie vor den Nomenklator der »berühmten« und
»beiternten« Exemplare, die man »gefehen haben mußte«. Und die Begeiferung
derer, die mit unfagbarer Aufopferung raftlos bemüht waren, die Sammlungen
zu vervollftändigen, nahm derweilen munter ihren Fortgang. Der Nutzwert
der Wert deffen, was kulturfchaffend an dem Kunftbefitz ftaatlicher In-
ftitute genannt werden muß —' war und blieb gleich Null! Wer näher willen
will, wie ich das meine, dem möge Lichtwarks oben genannte Schrift emp-
fohlen fein, die uns ja während dem Kriege ein rühriger Verlag mit andern
wertvollen Auffätzen des Hamburgers wieder gefchenkt hat.
Da liegen unmittelbarfte Fragen kulturfördernder innerer Politik im Sinne
eines Volksftaates in Hülle und Fülle vor. Und — wie überall, wo es (ich
um öffentliche Kunftfragen handelt —: Dinge, die weit über die »Wiflen-
fchaft« hinausragen. (Wilfenfchaft der Kunft hat überhaupt nur Sinn, wenn
fie nicht Selbftzweck bleibt.)
 
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