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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (Oktober-März)

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Nr. 8
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.37098#0164
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138

Literatur

nilchen Malerei i(t das intereffante Thema
zu erörtern.
In dem Streit um Tizian's Geburtsjahr
lieht Hourticq auf der Seite Cook's, läßt
alfo Tizian er ft gegen 1490 geboren fein.
Dokumentarifche Belege hat er nicht, eben»
fowenig andere zwingende Gründe, nur
mögliche. Die Hauptfdiwierigkeit der An»
hänger Cook's, die Datierung des wegen
feiner Unbeholfenheit ficherlich fehr frühen
Antwerpener Votivbildes befteht für Hour»
ticq nicht,- er datiert das Bild kurzerhand
gegen 1512 <an einer anderen Stelle fogar
gegen 1515), was jedem, der lieh auch nur
flüchtig mit Tizian befchäftigt hat, fogleich
als unmöglich erfcheinen muß.
Der Mangel an (tilkritilchem Urteil, wie
er bei der Datierung des Antwerpener
Bildes fich zeigt, ift nun die Achillesferfe
Hourticq's überhaupt. Zwar findet er in
der Einleitung treffliche Worte über die
Behutfamkeit, mit welcher man den ftil»
kritifchen Weg befchreiten müffe, in Wirk»
lichkeit aber ift er recht kühn und unbe»
kümmert. Die mannigfachen Echtheits»
fragen, die der Forfchung feit Crowe und
Cavalcaselle immerhin geftellt find, berührt
Hourticq gar nicht; wohl aber möchte er
den Tiziankatalog außer um einige Zeich»
nungen um drei Bilder bereichern, nämlich
um die »Fete champetre« im Louvre, die
»Adultera« in Glasgow und das »Urteil
Salomos« in Kingston Lacy. Auf die Zus
weifung der »Fete champetre« anTizian legt
Hourticq offenbarbefonderen Wert; er wid-
met dem Bild das Anfangskapitel, und es
fieht falt aus, als habe diefe »Entdeckung«
den Anftoß zu dem ganzen Buche ge»
geben. Die beiden anderen Bilder werden
Tizian zugefchrieben, weil fie von derfelben
Hand fein müßten, wie das Bild im Louvre.
Meiner Anficht nach haben die drei Bil»
der mit Tizian oder feiner näheren Um»
gebung nichts zu tun und gehören auch
nicht zufammen. Während der Maler der
»Fete champetre« — es ift, wie ich glaube,
weder Giorgione noch Sebaftiano, fondern
ein Künftler zweiten Ranges — in der nuova
maniera des 16. Jahrhunderts fchon fo ficher
ift, daß er darin aufgewachfen fein muß, hat
der des »Urteils Salomos« feine Ausbil»
düng noch am Ende des Quattrocento er»
halten und den neuen Stil erfi fpäter gelernt.

Die Beweisführung Hourticq's befieht zu»
meifi darin, daß er in der Erfcheinung und
Bewegung ähnliche Figuren aus den Bildern
herausgreift und in kleinen Skizzen neben»
einander abbildet. Damit kommt man aber
gerade in der venezianifchen Malerei des
frühen 16. Jahrhunderts nicht weit, zu deren
Befonderheit es gehört, daß infolge der nicht
fehr großen Erfindungskraft der Vene»
zianer einmal gefchaffene Typen oft wieder»
holt werden. Deshalb ift hier nur von
einem Eingehen auf die feinften individuellen
Unterfchiede etwas zu hoffen. Das aber
ift Hourticq's Sache nicht. Wohin ihn
feine Methode führt, lehrt die Skizze, in
welcher er uns glauben machen will, daß
die »unedle Mutter« des »Urteils Salomos«
von derfelben Hand fei, wie die fprühende
Ariadne des Londoner Tizianbildes. Wirk»
lieh fonderbar aber ift fein Verfuch, die nach
Michiel's Zeugnis von Giorgione begon»
nene und von Tizian vollendete Dresdener
Venus, mit Ausnahme allenfalls des Kop»
fes, ganz Tizian zuzufchreiben. 7Ä Hetzer
*
Victor Margueritte, J. B. Carpeaux.
Paul Irihe 4D Cie.
Eine feltfame Künftlerbiographie: Groß»
folioformat, 400 numerierte Exemplare auf
van Gelder, 100 Exemplare auf Japan und
zehn auf Chinapapier mit breitem Rand
wundervoll gedruckt. Als Abildungen nicht
eine einzige Skulptur, dafür in winzigem
Format fechs Handzeichnungen in Brief»
markenformat und ein gezeichnetes Selbft»
bildnis des Bildhauers. Man wäre ver»
fucht, die Publikation als eine Parodie auf
Luxusdrucke anzufehen, wenn nicht der
Text wertvoll wäre. Margueritte erzählt
das Leben des Künfilers, zeichnet feine
künftlerifche Entwicklung und ftellt lebendig
dar, wie der Maurerfohn fich zu tieferer
Bildung durchgerungen hat, Dante im Ur»
text lefen lernte und im Anblick Michel»
angelo's den Ugolino konzipierte. Im
Schlußkapitel berichtet der Verfaffer über
den Nachlaß Carpeaux'. Leider enthält
bisher keine Carpeaux»Monographie Ab»
bildungsmaterial der großen Anzahl von
Studien in Ton, die nach dem Tode des
Künfilers in feinem Atelier gefunden wur»
den und von denen fich heute eine größere
Anzahl im Louvre befindet. O. G.
 
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