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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1923 (April-Septembert)

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Nr. 41/42
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Justi, Ludwig: Corinth als Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.39788#0224
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Corinth als Maler

rekelnder Akt, ein gähnendes Mädchen auf dem Bettrand, eine Dame im
Abendmantel, die feine Hand in den weichen Stoffmaflen, eine Schlafende
mit halboffenem Mund — nie • ift das Animalifche des Schlafes fo gemalt
worden. In allen folchen Bildern erfcheint die Frau nicht als überkommener,
ausgefchliffener Begriff der Form oder der Auffaflung, fondern als ein wirk-
lich=einmaliges Stück gewachfener Natur, als der Teil von ihr, der für die
Sinne des Mannes das Geheimnis des Lebens recht eigentlich verkörpert, fie
ammeiften befchäftigt, erregt,- gefehen und feftgehalten mit einer Unmittelbarkeit,
die ihres gleichen wohl nur bei Rubens hat. Jeder Mann fieht und empfindet
das Weibliche anders, vielen mag Corinths Art nicht angenehm fein, gegen
Gefchmadc oder Erziehung verftoßen, aber niemand wird fich der Kraft der
natura naturans in folchen Bildern entziehen. Man Tagt oft, Corinth fei ein
ausgezeichneter »Fleifchmaler«/ »Fleifch« haben auch andere vortefflich gemalt,
das Befondere ift die innere Lebendigkeit, die zum Beifpiel bei Manet fehlt.
Was in folchen Darftellungen blühender Weiblichkeit am deutlichften
erfcheint, das gilt auch von den anderen Gegenftänden: wenn Corinth einen
Apfel malt, dann ift es nicht bloß eine optiiche Erfcheinung, fondern ein Stück
Natur in all ihrer lachenden Fülle und prunkenden Fruchtbarkeit, lieblich an-
zufehen und gut davon zu elfen. Seine Blumen, feine Landfchaften find nicht
achlich und forgfam wiedergegeben wie etwa bei den alten Holländern, nicht
nur gut gemalt, fondern auch fie find durchlebt von einer zitternden Sinn-
lichkeit, fie atmen und glühen, wie es in der Gefchichte der Malerei wiederum
feit Rubens nicht vorgekommen ift.
Und mit diefer ganz unmittelbaren Lebensfülle verbindet fich nun die
Meifterfchaff des Handwerks. Zuerft eine forgfam gebundene Malerei, dunkle
Töne, glatte Flächen,- Parifer Schulung macht fich geltend, befonders weibliche
Akte find oft »akademifch« gemalt. Dann lockert fich der Strich, die Erfcheinung
wird mehr und mehr umgefetzt, und es ift köftlich zu fehen, wie die Zufällige
keit des Naturausfchnittes immer neue Gebilde freien Malgewirkes hervorruft,
im Gegenfatz etwa zu der Gleichmäßigkeit in Bau und Richtung der vier-
eckigen Farbflächen bei Trübner. Die Pinfelzüge erfcheinen rafch oder forgfam,
glatt oder rauh, weitmafchig oder dicht, großzügig oder kurz, breitftreichend
oder vertreibend. Man fühlt darin den Schwung der Hand, erkennt die Art
des Pinfels, fieht das Relief und die Flüffigkeit der Farbe. Irgend eine Stelle
des Bildes gibt fich aus der Nähe als ein ganz freies Gefprühe von Pinfel-
hieben oder Spachtelfchichten, man kann es als Flächen=Ornament genießen,
oft beraufchend als Farbengedicht, erftaunlich als Ausnutzung der Möglich-
keiten, die Pinfel, Farbe und Leinwand bieten, überrafchend als Umfetzung
der gegebenen Erfcheinung, und es befteht dann ein hoher Reiz darin, wie
im größeren Ganzen der Natureindruck aufgefangen ift. Die Farbe ift zer-
 
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