Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstfreund — Band 1.1874

DOI Heft:
Berichte von Nah und Fern
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0126
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
120

liehen Mangel an Novitäten heben können, ruhen in den Papierkörben der verschiedenen
Theaterbureaux — nur weil die Autoren bisher keinen bekannten Namen in die Wag-
schale zu werfen haben. Greifen nun die Theaterverwaltungen einmal zu solch einer Novi-
tät und diese spricht nicht an — so lassen sie sich für die Zukunft derartige undankbare
Maassnahmen verleiden. Das ist unserer Meinung nach der wunde Fleck, an welchem das
deutsche Theater krankt, denn es ist eines der Hebel, welche für die sittliche Entwicke-
lung der Nation mitgewirkt, auch ferner die Aufgabe hat, mit anderen Cultur-Elementen
gleichen Schritt zu halten. Wir haben eine Genossenschaft, welche die materiellen Inter-
essen der dramatischen Autoren und Componisten in dankenswerther Weise schützt, noch
aber fehlt uns ein Institut, das den Dichtern und Componisten, welche vor den Thüren
der Theatercanzleien Einlass begehren, den Weg zur Annahme, resp. zur Aufmunterung
bahnt. Ihr Referent hat in Gemeinschaft eines Freundes einen Plan, dem angedeuteten
Uebelstande abzuhelfen, ausgearbeitet, welcher wohl in Anbetracht der guten Meinung
verdient, in diesem, künstlerischen Interessen gewidmeten Organe skizzirt zu werden: Eine
Anzahl dramatischer Dichter und sonstige, den Kunstverhältnissen nahe stehende Persön-
lichkeiten treten behufs Unterbringung dramatischer Werke zusammen. Die zur Leitung
des Ganzen erforderliche Persönlichkeit wäre bereits gewonnen, von dieser werden die
eingehenden Manuscripte kostenfrei für den Autor entgegengenommen und den mit der
Genossenschaft in Verbindung stehenden Kritikern ausgehändigt, welche nun, sobald das
Product Talent aufweist, Aenderungen u. s. w. vorschlagen. Bei vollständiger Untaug-
lichkeit geht das Manuscript ohne Spesenberechnung an den Autor zurück, im günstigen
Falle wird es auf Kosten des Autors gedruckt und von der Genossenschaft vertrieben,
wofür sie einen noch zu fixirenden Procentsatz des Ertrages als Aequivalent für ge-
habte Mühewaltung bezieht. Der Verkehr der Genossenschaft mit den Bühnenleitungen
würde durch das wöchentlich erscheinende Genossenschaftsorgan bewerkstelligt werden,
dieses würde die Kritiken über die Stücke bringen und den Directoren die Selbstprüfung
ersparen. — Ergänzungsmittheilungen in dieser Angelegenheit wären erwünscht, die ge-
schätzte Redaction ist gewiss so freundlich, dem Nachfragenden des Einsenders Adresse
mitzutheilen. Doch nun zu unserer Pflicht — „ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“.
Mozart’s „Don Juan“, von Fremden in Leipzig gehört, muss diesen eine hohe
Achtung vor unserem Opernpersonale einflössen. Herrn Gura’s „Don Juan“, Fräulein
Mahlknecht’s „Donna Anna“, welche im benachbarten Magdeburg gelegentlich eines Gast-
rollencyclus Publikum und Kritik vollständig electrisirte, Frau Peschka-Leutner’s „Donna
Elvira“ mögen auch an dieser Stelle gerechte Würdigung erfahren. Zu diesem Dreigestirn ge-
sellten sich Fräulein Gutzschbach’s „Zerline“, Herrn Ress’s „Leporello“' und Herrn Ehrke’s
„Masetto“, den Horizont in vollständiger Schöne zu erhalten. In gleich vorzüglichem
Ensemble gingen „Die Entführung aus dem Serail“, Weber’s oft gegebener „Oberon“,
Flotow’s „Stradella“ in Scene. Als „Max“ im „Freischütz“ betrat zum ersten Male
Herr Pielke die weltbedeutenden Bretter mit Glück, unsere bedeutenden Musikkritiker
stellen ihm, fleissiges Studium vorausgesetzt, ein günstiges Prognostikon.
Eine einzige dramatische Novität „Das Vorrecht des Genies“ von Schweitzer
ward uns aufgetischt. Der sonst gewandte Autor hat diesmal das Vorrecht, langweilig
sein zu dürfen, auf alle Fälle für sich in Anspruch genommen. Die Vertretung der
Situationen, die Stellung, in welche der Held des Stückes geräth, sind bedeutend gewagt
und mehr denn comödienhaft. Das Ganze, lose zusammengefügt und Ueberhastung ver-
rathend, wusste selbst einem Sonntagspublikum in carnevalistischer Laune nicht sonder-
lich zu imponiren. Selbst die Sprache des Lustspiels entbehrt jeden Reizes, sie ist voll-
ständig trivial. — Director Friedrich Haase’s Gastrollen an der eigenen Bühne wären
demnächst das Besprechenswertheste. Des Künstlers „Arthur Marsan“ in „Man sucht
einen Erzieher“ und der Chevalier von Rocheferier“ in „Eine Partie Piquet“ sind
Originalgenrebilder eigenster Art. Wenn Brachvogel’s „Narciss“ den mit sich selbst
zerfallenen Gamin, den innerlich wie äusserlich Zerrütteten und Weltklugen, einen
Hamlet anderer Art bedeuten soll, so kann sich kaum ein geeigneterer Vertreter als
Haase für diese Rolle gedacht werden. Neben ihrem Director war es Frl. Suhrlandt als
„Marquise Pompadour“, welche sich auf der Höhe der Situation erhielt, eine Leistung
gleich bedeutend wie ihre „Lady Milford“ bot. Frl. Hüttner liess als „Doris Quinault“
Wärme vermissen.
Shakespeare’s „Wintermärchen“ vermag trotz der splendiden Ausstattung nicht
rechten Fuss zu fassen. „Unmotivirte Eifersucht“ und die „Leiden der schönen Hermjone“
spannen das Herz des Zuschauers auf eine allzuharte Folter. Frl. Haverland, bei weiterer
Ausbildung eine zweite Clara Ziegler, zählt die Hermione zu ihren besseren Rollen, wie
auch ihre „Gräfin Julia“ in „Die Verschwörung des Fiesko“ als vortrefflich bezeichnet
werden muss. Seitdem wir in diesem republicanischen Trauerspiel Devrient als „Fiesko“
und Dawison als „Muley Hassan“ gesehen, genügt uns keine Wiedergabe mehr, obschon
der Mohr des Herrn Klein anerkennungswerth war, wie sich überhaupt der treffliche
Künstler als „Wurm“, „Mephisto“ ferner als Characterdarsteller bewährt hat, Frl. Stein-
 
Annotationen