Allnstrirte Nundscbau.
Llntcr /ISiNvirkung des Megründers Ferdinand Nvcnarius bcrausgegebcn von
paul Lcduinann.
2. Slnodcr-Dett tSS2. Dritter Aadrgnng.
Lrsch eint
monatlich zweimal.
Westellgeld: t lD. 60 pk. vierteljübrl.
2l n z e i g e n:
Ho j)f. f. d. ^gesp. Petitzeile.
Nundsckau.
* Äber ntoderne /Döbel hat in der letzten
Sitzung des Deutschen Runstgewerbevereins zu Berlin
Prof. Iulius Lessing gesprochen. Lr hat vieles
vorgebracht, was von jeher in diesen Blättern ver-
sochten worden ist, und wir freuen uns, in ihm einen
Bundesgenossen in unseren Bestrebungen zu finden.
Lessing ging von der mebrfach erwähnten Berliner
Ausstellung von bvohnungseinrichtungen aus. Das
preisgericht, das von l80 Ausstellern die hsälfte init
preisen versehen hat, ist wohl der Meinung gewesen,
die Ausstellung böte sehr viel Anerkennenswertes.
Und dieser Stimmung entsprach es auch, wenn in
vielen Zeitungen klingende jDosaunentöne erschallten,
wie man es jetzt so herrlich weit gebracht habe, wenn
man in Betracht ziehe, wie schlicht und armselig vor
20 und so Zahren unsere U'iöbel noch gewesen seien.
Dagegen wurden auch sehr scharfe Tadler laut; auch
wir haben mehr Tadel als Lob ausgesprochen. Noch
nie sei eine solche Menge Unverstand und krankhaften
Auswuchses zu Tage getreten, da diese Möbel nicht
mehr den Bedürfnissen entsprächen, mehr auf den
Schein ausgingen, als auf Gediegenheit und edle
Linfachheit. Die Gewerbetreibenden entgegnen da wohl:
Ihr selbst habt uns ja diesen weg gewiesen, ihr
habt uns in die „Nenaissance" hineingeführt, eure
Museen, eure Veröffentlichungen haben uns die
LNuster gegeben, an die wir uns gehalten haben!
Ganz recht, aber haben wir von euch verlangt, daß
ihr sklavisch das Drum und Dran der vorbilder
nachahmt, statt an den Gebrauch des Möbels zu
denken? Daß ihr das Gerät mit mißverstandenem,
sinnlosem chchmuck überladet? vor Allem, daß ihr
Gegenstände des täglichen Gebrauchs so ausbildet,
als sollten es Schau- und prunkstücke sein? kveder
in der Zeit der Renaissance, noch im Altertum, noch
in irgend einer anderen Zeit gehobenen Stilgefühls
haben die Niöbel, die man täglich benutzte, so aus-
gesehen, wie die besonders kostbaren und darum auf
uns gekommenen Stücke, die jetzt die Museen füllen.
Die gewöhnlichen Gebrauchsmöbel sind von einem
oder doch von wenigen Geschlechtern aufgebraucht
worden und verschwunden. tvenn aber die Museums-
Stücke zum Ausgangspunkt der Nachahmung gemacht
werden, so muß das Unglück eintreten. Das ist eine
Lrscheinung, die keineswegs unserer modernen Uunst
allein anhaftet. Das war in den dreißiger Zahren bei
Übernahme der Gotik ebenso. Damals hatte man
zur Nachahmung auch nur Ausstattungsstücke der
üirchen, keine Gebrauchsmöbel. Aber für diese An-
häufung von Akotiven, die den eigentlichen Arank-
heitsprozeß verursacht hat, ist das Gewerbe nicht
allein verantwortlich zu machen. Die verantwortung
trägt zum großen Teil das publikum, die prunksucht,
die Gier, zu haben, was man nicht haben kann.
Diese ürankheit aber ist tief begründet in der modernen
Gesellschaft, wo der Nnterschied zwischen vornehm und
minder vornehm mehr und mehr verwischt wird.
kvir haben keine streng abgeschlossenen Stände mehr,
und die Lebensansprüche der Reichen teilen sich der
breiten Masse mit. So gehen Schmuckformen, die in
dem Überflusse einer j?alastausstellung erträglich und
angebracht sind, in den Bedarf der bürgerlichen
lvohnung über, natürlich in unsolider, aus den Schein
berechneter Nachahmung und zum schweren Nachteil
für den praktischen Gebrauch. Säulen, Giebel, Vbe-
lisken, üugeln sind uns überall an den Niöbeln im
kvege, sie machen es der ksausfrau unmöglich, den
Staub zu entfernen. Dazu das stilistische Mßver-
stehen der Zierformen! Das Architekturglied erleidet
in der ursprünglichen Übertragung auf das Möbel
eine Umgestaltung, eine Vergewaltigung nach Maß-
gabe der veränderten technischen voraussetzungen und
des besonderen Gebrauchszweckes. Dieser gerade giebt
ihm erst seine stilistische Berechtigung an dieser Stelle;
heute dagegen sehen wir, daß Zweck und Technik
durch das sklavisch übernommene Grnament verge-
waltigt werden. kvas bringt uns nun aus dieser
kvirrnis heraus? Lessing weist, wie viele andere,
auf den kveg der Lngländer und Amerikaner hin, bei
denen das rein struktive, ornamentlose Gebrauchsmöbel