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Allustrirte Nundscbriu.

rintcr /Ikttwirkung des Lcgründcrs Fcrdinrrnd Nvcnarius bcrausgegebcn von

paul Sckumann.

t. tNovember--Dett tSS2. Dritter Aabrgaug.

Lrscheint

monatlich zweimal.

Vestellgeld: 1 tD. 60 pk. vierteljüdrl.

Anzeigen:

-40 j?s. f. d. H gesx. Petitzeile.

Nundsckau.

* Ikunstgewerbe — volkskunst. Unter

diesen, Titel tritt der unsern Lesern wohlbekannte^eraus-
geber der Beiträge zu einer Volkskunst, V. Schwind-
razheim in Lsainburg, in den Dresdner tVochenblättern
tür Runst und Leben von Neuem für seine Ideale
em. Zfl es denn wahr, so fragt er nach einer kurzen
Tinleitung, haben wir in der tvorte tiefster Bedeutung
e>n blühendes, inodernes, deutsches Runstgewerbe?
^Lin blühendes Aunstgewerbe! Dh, gewiß, das
haben wir, wenn wir dabei an luxuriös eingerichtete
Lustschlösser und paläste denken, an vergoldeten Zierat
aller Art, Möbel aus ausländischen Lsölzern, Tisch-
platten aus I.apis iLxuü, kostbare Gobelins an den
Mänden, Vorhänge mit fingerdicker Goldstickerei, fabel-
hafte Rronleuchter aus porzellan, kostbares Silber-
geschirr u. s. f., wenn wir auf unseren Ausstellungen
die glänzenden Linzelausstellungen bewundern, oder
uns vielmehr darüber wundern, über die unbezahl-
baren Monstrestücke, mit denen eine Firma die andere
zu übertrumpfen strebt, wenn wir, durch die Straßen
streifend, die in den kunstgewerblichen „Bazaren"
aufgehäuften, glitzernden und funkelnden Schätze über-
blicken, wenn wir die vornehmen prachtwerke durch-
blättern, die über diesen und jenen Stil, über diesen
und jenen Nleister erschienen sind u. s. f. N)enn wir
aber unter einem blühenden Runstgewerbe ein solches
verstehen, das dem ganzen volke dermaßen in Fleisch
uizd Blut übergegangen ist, daß vom einfachen Ge-
brauchsgerät bis zum Luxusgerät alles uns seiner
Dedeutung entsprechend schön entgegentritt, daß wir
dasselbe im Bauern- und Arbeiterhause, wie im palaste
seinen veredelnden Linfluß üben sehen, daß wir alle
Melt sich daran erfreuen und teilnehmen sehen —
wenn wir's so verstehen, dann haben wir heute noch
kein blühendes Runstgewerbe.

Gin modernes Runstgewerbe! Gcwiß, das
haben wir, wenn wir, der Zeit gedenkend, als das
Ikunsthandwerk gänzlich darnieder lag, uns freuen,
daß es wieder in Gang gebracht worden ist, wenn
wir unter Nlodern-sein das verstehen, daß es sich der

jeweilig herrschenden Mode, die in immer kürzeren
Zwischenpausen sich ändert, sich anzupassen versteht,
daß es allen, selbst den bizarrsten wünschcn und
Zdeen der „Ronsumenten" getreulich zu dienen bereit
ist. Übersetzen wir aber das wort modern mit zeit-
gemäß und verstehen dann darunter ein Runstgewerbe,
das mit der ganzen geistigen und ethischen Bewegung,
die durch unsere Zeit geht, gleichen Schritt hält, das
sich bewußt ist, daß es nicht nur ein im Dienste des
Luxus stehendes Handwerk ist, sondern ein Zweig der
Runst, also mit dieser das Streben teilen muß,
im idealsten Sinne dem ganzen volke zu dienen und
die Natur zur Lehrmeisterin zu nehmen, das gleich
allen anderen schönen Rünsten und wissenschaften
früheren Zahrhunderten gegenüber einen merkbaren
Fortschritt zeigen sollte — wenn wir's so auffassen,
haben wir auch kein wahrhaft modernes Runstgewerbe.

Und nun deutsches Runstgewerbe! Gewiß,
auch das haben wir, insofern, als gleichwie Franzosen
und Lngländer, so eben auch Deutsche damit be-
schäftigt sind, und daß man von ihnen beinahe oder
eben so gute und teure Luxusgegenstände beziehen
kann, wie von Franzosen oder Gngländern, insofern,
als wir deutsche Runstgewerbeschulen haben und
unsere Runstjünger nicht ins Ausland zn schicken
brauchen, insosern, als wir ebenfalls prunkende soge-
nannte „deutsch-nationale" Runstgewerbe- und Zn-
dustrie-Ausstellungen vcranstalten können. Aber —
ein wahrhaft deutsches Runstgewerbe, ein Abbild
unseres deutschen volksgemüts, wie's eine Runst doch
sein sollte, haben wir denn das? Lin Runstgewerbe,
gewachsen auf dem Boden ureigenen dentschen Schön-
heitssinnes, deutscher Naturauffassung, deutscher poesie
— ein Runstgcwerbe, bei dem das größte mögliche
Lob nicht das wäre, daß der oder der Gegenstand
beinahe aussehe, wie ein j?ariser Lrzeugnis, daß man
ihm die Ltikette „moäe üe ?aris" aufkleben könne,
ohne daß Zemand die Täuschung merke, sondern bei
dem das beste Zeugnis das ist: wahrhaft deutsch —
das haben wir noch nicht!
 
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