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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 5.1894

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Bode, Wilhelm von: Moderne Kunst in den Vereinigten Staaten von Amerika, [2,1]: Eindrücke von einem Besuche der Weltausstellung zu Chicago - Die Architektur und das Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4565#0124
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MODERNE KUNST IN UEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA.

dem ihueii eigenen Takte hinnahmen, kann nur aus
einer sehr oberflächlichen Kenntnis der modernen
Bauten in den Vereinigten Staaten oder aus einer
großen Überschätzung der eigenen Leistungen in
Frankreich hervorgegangen sein. Gewiss kann man

Haarschmuck.
Von Tiffany & Co. in New York (Chicago.)

nicht von einem amerikanischen Stil reden im
Sinne, wie wir von einem griechischen, einem goti-
schen oder Rokokostil in der Architektur sprechen.
Aber ebenso wenig kann selbst der eingefleischteste
Franzose einen französischen Stil in den modernen
Bauten in Frankreich entdecken wollen. Wenn wir

den Franzosen auch den Ruhm lassen müssen, dass
sie die verschiedenen Stile ihrer Vergangenheit mit
besonderer Treue und feinem Geschmacke kopiren
und den modernen Bedürfnissen anzupassen wissen,
so sind sie doch da, wo sie hiervon abgehen, wo sie
Neues zu schaffen suchen, ebenso stillos als alle Na-
tionen heutzutage. Ja, ich gestehe, dass mir ge-
feierte Bauten, wie die Große Oper in Paris, nament-
lich in ihrem Inneren, wie der Saal der französischen
Meister im Louvre und ähnliche auf Selbständigkeit
Anspruch machende Architekturen, hinter manchen
bescheidenen Bauten in England und vor allem in
Amerika weit zurückzustehen scheinen. Die meisten
Besucher der Ausstellung werden ihren Eindruck
dahin zusammenfassen können, dass die "Wirkung der
Bauten in der Ausstellung in Anlage, Architektur
und Farbe geradezu eine überwältigende war, und
dass die neuesten Bauten in den Vereinigten Staaten
im allgemeinen gerade eine ausgeprägte amerika-
nische Eigenart, hohe technische Vollendung und
feinen Geschmack aufweisen. Mir selbst war der
Eindruck der modernen Bauten in ihrer Architektur
wie ihrer Ausstattung die größte Überraschung, die
mir die leider zu kurz bemessene Reise in den öst-
lichen Staaten von Nordamerika gebracht hat. Von
den Leistungen des Kunsthandwerks hatte ich auf den
Pariser Ausstellungen und in einzelnen amerikanischen
Häusern in Europa schon treffliche Proben gesellen;
von den Sammlungen an Kunstwerken verschiedenster
Art kannte ich gar manches Bild, manches Stück chine-
sischen Porzellans, manches französische Möbel, da ich
sie im Handel gesehen und auf Versteigerungen au
Amerikaner hatte zuschlagen sehen: aber von der
Bauart, von der Einrichtung der Bauten hatte ich eine
sehr ungenügende und vielfach falsche Vorstellung.
Ich hatte sie bei weitem unterschätzt, hatte vor allem
allerlei abenteuerliche Untugenden und Übertreibun-
gen erwartet; um so größer war mein Erstaunen,
hier — trotz einzelner Ausschreitungen, die vor-
wiegend den Bauherren und dem Raummangel in
den großen Städten zur Last fallen — eine maß-
vollere Anwendung älterer Formen, ein feineres Ver-
ständnis derselben, eine selbständigere Disposition
und Einrichtung zu finden, als sie uns regelmäßig
in Europa begegnen.

Das moderne amerikanische Stadthaus, von dem
die Architektur in den Vereinigten Staaten ausgeht,
ist dem englischen Hause nahe verwandt. Die eng-
lische Herkunft der Mehrzahl ihrer Bewohner ver-
rät sich auch in den Gewohnheiten und Anforde-
rungen an ihr Heim. Der Stil der Bauten in der
 
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