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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Baer, J.: Entwicklungsphasen der deutschen Architektenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0100
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ENTWICKELUNGSPHASEN DER DEUTSCHEN ARCHITEKTENSCHAFT

Wie auf den Gebieten der Malerei und Bildhauerkunst
und in den Reihen ihrer Jünger in den letzten Jahrzehnten
in Deutschland tiefgehende Wandlungen, Spaltungen und
Neubildungen stattgefunden haben, so sind auch die Ver-
treter der Schwesterkunst, der Architektur von einer bedeu-
tungsvollen Bewegung ergriffen worden, deren Ziele zwar
schon erfreuliche Klarheit gewonnen haben, deren Erfolge
aber noch in weiter Zukunft liegen. Während die Bewe-
gung bei den Malern und Bildhauern vornehmlich durch
künstlerische Momente, durch den Kampf der Moderne
gegen die Tradition bedingt und durch das Wort »Sezession«
charakterisiert wurde, sind es bei den Architekten weniger
die sich ja auch bedeutsam Geltung verschaffenden modernen
Bestrebungen auf künstlerischem Gebiet, nicht der Kampf
um den »Stil«, sondern im wesentlichen materielle Gründe,
Standesinteressen und Existenzfragen, welche die Bewegung
veranlaßten, die durch die im Sommer 1903 erfolgte Grün-
dung des »Bundes Deutscher Architekten« (B. D. A.) in eine
neue Phase der Entwickelung getreten ist und ihr charakte-
ristisches Gepräge erhalten hat. Um zu verstehen, welche
Bedeutung der Gründung des B. D. A. beigemessen werden
muß, erscheint es angebracht, einen Rückblick auf den Werde-
gang des deutschen Architektenstandes seit Anfang des
vorigen Jahrhunderts zu werfen. In dieser Zeit wurde das
Bauwesen noch ausschließlich durch das Baubeamtentum
vertreten, deren Tätigkeit sich hauptsächlich auf Hochbauten
erstreckte und die sich daher als Architekten fühlten und
bezeichneten. Da vor Einführung der Gewerbefreiheit die
Berechtigung zur selbständigen Ausführung von Bauten für
die außerhalb des Handwerks stehenden Architekten nur
durch Ablegung der für die Baubeamten vorgeschriebenen
Prüfungen zu erlangen war, so sind auch die späterhin auf-
tretenten Privatarchitekten zunächst aus dem Beamtentum
hervorgegangen. Nachdem durch die Entwickelung des
Verkehrs der Straßen-, Wasser- und Eisenbahnbau zu größe-
rer Bedeutung gelangt war, bildeten sich die neuen Stände
der verschiedenen Zweige des Ingenieurwesens heraus und
ihre Vertreter schlössen sich mit den Architekten zur Ver-
folgung gemeinsamer Interessen in Ingenieur- und Archi-
tektenvereinen zusammen. Wo schon Architektenvereine
bestanden, wie z. B. bei dem bereits 1824 gegründeten
Architektenverein zu Berlin, wurde die Vereinstätigkeit
auf alle Gebiete der Technik erweitert. Als nach den Kriegen
von 1866 und 1870/71 das Bauwesen in Deutschland einen
ganz gewaltigen Aufschwung nahm und sich infolgedessen
die Zahl der Privatarchitekten, welche nun zumeist nicht
mehr aus dem Beamtentum hervorgingen, sondern sich in
freier künstlerischer Tätigkeit entwickelten, rasch vermehrte,
wuchs auch das Bedürfnis einer besonderen Interessenver-
tretung dieses neuen Standes. Es bildeten sich eine Reihe
von Architektenvereinen, welche jedoch mit den älteren
Vereinen ein freundschaftliches Verhältnis unterhielten und
sich mit diesen Anfang der siebziger Jahre zu dem »Ver-
band Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine« zu-
sammenschlössen, dem zurzeit 40 Vereine mit etwa 8500
Mitgliedern angehören. Durch diese stattliche Mitglieder-
zahl sind der Verband und die in ihm vertretenen Vereine
zu großem Ansehen und Bedeutung gelangt und in die
Lage gesetzt worden, in den verschiedensten Fragen des
Hochbau- und Ingenieurwesens erfolgreich zu wirken, sowie

Fach- und Standesinteressen mit Nachdruck zu vertreten.
Als ein Vorteil muß es auch angesehen werden, daß in
den Verbandsvereinen der Architekt in innigen Verkehr
mit dem Ingenieur gebracht wird, da doch in dem modernen
Bauwesen die Technik von einer der Architektur gleich-
kommenden Bedeutung ist. Andererseits kann es dem
Ingenieur gewiß nicht schaden, wenn durch den Verkehr
mit Architekten etwas von künstlerischem Geist auf ihn
übertragen wird. Es kann aber nicht geleugnet werden
und liegt im Wesen des Verbandes begründet, daß bei
der großen Zahl und der Verschiedenheit der von ihm be-
arbeiteten Aufgaben nicht alle Fragen und insbesondere
solche, welche nur für einen kleineren Teil der Mitglieder
von Wichtigkeit sind, mit derjenigen Entschiedenheit be-
handelt wurden, die allein den gewünschten Erfolg bringen
kann. Nachdem sich aus diesem Grunde schon in früheren
Jahren die Maschineningenieure zu besonderen Vereini-
gungen zusammengeschlossen hatten, die dann den ange-
sehenen »Verband Deutscher Ingenieure« bildeten, fühlten
in den letzten Jahren auch die Privatarchitekten wiederum
das Bedürfnis einer besonderen, vollkommen getrennten
Interessenvertretung. Den letzten Anstoß zur Schaffung
derselben gaben die Beratungen über die neuen Honorar-
normen für Architekten, welche nicht zu dem gewünschten
Ergebnis führten, da der Verband seine Mitglieder zur
Aufrechterhaltung dieser Normen nicht verpflichten konnte.
In der »Deutschen Bauhütte« erschienen nun im Herbst
1899 mehrere Abhandlungen des Architekten R. Vogel-
Hannover, in denen darauf hingewiesen wurde, daß allen
weiteren Schritten zur Hebung des Architektensfandes in
materieller und ideeller Beziehung zunächst eine reinliche
Scheidung zwischen Architekt und Unternehmer und eine
Abkehrung aller minderwertigen bez. künstlerisch nicht
befähigten und gebildeten Elemente stattfinden müsse.
Denn in der Tat war mit det Entwickelung des Bauwesens
durch die große Zahl technischer Lehranstalten verschie-
densten Ranges eine schier ungeheuere Zahl von Leuten
dem Architektenberufe zugeführt worden, welche vielfach
weder Befähigung noch Neigung hierfür qualifizierte, son-
dern die sich lediglich diesem Beruf des günstigen Brot-
erwerbes wegen zuwandten und ihn jedes Idealismus bar
nicht als Kunst, sondern als Gewerbe ausübten. Hierzu
kam noch, daß die Vervollkommnung der Technik eine
größere Bedeutung derselben für den Baukünstler zeitigte
und zu einer intensiveren Beschäftigung mit ihr nötigte,
so daß beim Publikum auch aus diesem Grunde mehr und
mehr die Anschauung abhanden kam, daß die Architektur
eine Kunst ist. Der empfindlichste Schlag wurde jedoch
dem Architektenstand durch das Überhandnehmen eines
rücksichtslosen Bauunternehmertums versetzt, das sich in-
folge der Gewerbefreiheit herausbildete. Die Ausübung
der Privatbautätigkeit gelangte hierdurch zum großen Teil
in die Hände von Leuten, die von wüster Profitsucht be-
seelt nicht nur eine schamlose Ausbeutung des Architekten-
standes, eine gegenseitige Unterbietung und unwürdige
Geschäftsgebarung zumal bei den jüngeren Elementen ins
Werk setzten, sondern vielfach den künstlerisch schaffenden
Architektenstand überhaupt aus der Bautätigkeit ausschal-
teten. Die dem Architekten zufallende Arbeit wird in die
Hände von Pfuschern gelegt, welche ungehindert wahrhaft

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