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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Ritleng, Georges: Die Entwicklung des Kunstgewerbes in Elsass-Lothringen seit 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0225
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Braunagel-Camissar, Straßburg

Kunstverglasung

DIE ENTWICKELUNG DES KUNSTGEWERBES
IN ELSASS-LOTHRINGEN SEIT 1870

*Aus der Keltenstadt eine ro-
manische Festung, aus der Römer-
festung eine germanische Ritterburg
und aus der Ritterburg«.....

IE Geschichte des Odilienberges, des
elsässischen Nationalheiligtumes, die
Fritz Lienhart in diesen Worten kurz

skizziert hat, ist die Geschichte des Elsasses.

Zu allen Zeiten Zankapfel zweier Kultur-
staaten und dadurch in politicis skeptisch geworden,
wurde das Elsaß auf seinen eigenen Wert aufmerk-
sam. Der Apfel mußte guter Art sein, um den man
sich durch manches Jahrhundert hindurch so leiden-
schaftlich stritt. Es gab Leute, die behaupteten, der
echte Elsässer sei nie ein Hurrapatriot gewesen, habe
von je her immer nur rot-weiße Farbe bekannt, lange
bevor die Wittich, Lienhart, Schickele, Flake, Prevöt
und andere über die »elsässische Frage« schrieben.
»Man behandelt den jeweiligen Besitzer loyal, fast
als Gast, fühlt sich aber selbst als behäbigen, über-
legenen Eigentümer, der die vielumworbene Schön-
heit seines Besitzes kennt und wohl zu nützen weiß.« —
Wenn dieser Standpunkt auch nicht eine völlige
Lösung der tintenumflossenen elsässischen Frage be-
deutet, so hat er doch, gerade in dieser Umgehung
einer prinzipiellen Stellungnahme seitens der Einge-
sessenen, seine Berechtigung, denn so steht der eigenen
Entwickelung nichts hemmend im Weg. Vor allem
aber hält er sich von der einseitigen, sterilen Patrioten-
politik fern, die, hie germanisierend, hie an franzö-
sische Äußerlichkeiten sich klammernd, zu allen Zeiten
von Mischlingen hierzulande getrieben wurde. Für

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. 11

uns Elsässer bedeutet diese scheinbare Unbeständig-
keit, aus der ein Vorwurf leicht abzuleiten ist, nur das
Festhalten an der eigenen Individualität. Der Elsässer
hat den Kompromiß nicht gescheut, und hat die Kraft
gehabt, ihn aufrecht zu erhalten, um sich von beiden
Kulturen in eigenartiger und neuer Weise befruchten
zu lassen. Die elsässische Frage ist im Grunde nichts
weiter als die Tatsache dieser vollzogenen Verbindung,
die mehr ist als eine Egoistenpolitik, nämlich über-
haupt nicht Politik, sondern eine Mission. Die vor-
trefflichen Worte, die Hermann Stegemann in diesem
Sinne schrieb, deuten es an: »Es muß jeder Versuch
der Annäherung der beiden Nationen begrüßt und
unterstützt, jeder Zwiespalt beklagt und in seinen
Folgen gemildert werden. Elsaß-Lothringen hat vom
Schicksal in diesem Problem eine Rolle zuerteilt er-
halten. Durch Jahrhunderte der Tummelplatz kriege-
rischer Aktionen, gleichsam das Glacis, das bald nach
Osten, bald nach Westen gewendet wurde,
ist dieses zweisprachige Land mit seiner
eigenartigen Kultur und seiner wechsel-
vollen Vergangenheit prädestiniert, den
Vermittler abzugeben zwischen Deutschland
und Frankreich. Nicht im Sinne einer
politischen Aktion, sondern dadurch, daß
es in sich und durch sich den Beweis
erbringt für die Notwendigkeit einer Ver-
ständigung und eines engen geistigen Aus-
tausches zwischen den beiden Völkern, die j
hier ihre Kulturgrenzen so ineinander auf-
gehen sehen, daß sie nicht umhin können, |
daraus früher oder später die Konse-

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