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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pabst, Arthur: Technische Arbeit als Erziehungsmittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0089
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TECHNISCHE ARBEIT ALS ERZIEHUNGSMITTEL

Von Direktor Dr. Pabst in Leipzig

"Die ganze Menschengeschichte, genau geprüft,
löst sich zuletzt In die Oeschichtc der Erfindung
besserer Werkzeuge auf.« Edmund Reitlinger.

WENN wir die Bedeutung der technischen
Arbeit für die gesamte Kulturentwickelung
richtig verstehen wollen — und das ist nötig,
um ihren Wert als Erziehungsmittel zu erkennen —,
so müssen wir auf die Anfänge der menschlichen
Kultur zurückgehen.

Menschliche Kultur setzt mit dem Augenblicke
ein, in dem das erste Werkzeug geschaffen wurde;
seine Erfindung und sein Gebrauch hat die ganze
Menschenentwickelung ins Rollen gebracht. Dies ist
nicht etwa so zu verstehen, als ob der vorgeschicht-
liche Mensch zielbewußt darauf ausgegangen wäre,
Werkzeuge zu erfinden; einen solchen Erfindergeist
dürfen wir bei ihm nicht voraussetzen. Indem der
Mensch mit den ihm vom Schöpfer gegebenen Werk-
zeugen, seinen Händen, hantierte, benutzte er wohl auch
Werkzeuge, die ihm die Natur in der Gestalt von
Feuersteinen und anderen Dingen in die Hand spielte.
Durch den Gebrauch der von Natur scharfen Steine
lernte er allerlei vorteilhafte Eigenschaften derselben
kennen, sie dienten ihm als Instrumente zum Schneiden,
zum Schaben und Kratzen, zum Bohren und Stechen.
Für diese Zwecke wurden sie allmählich auch künst-
lich hergerichtet oder bearbeitet. Auf dieser Stufe
unterscheidet sich aber das Werkzeug noch nicht von
der Waffe; beide nahmen zunächst nur die Form
menschlicher Organe an, denen sie nachgebildet wurden.
Die Keule und der Hammer sind dem Vorderarm und
der Faust, Meißel und Säge der Zahnreihe, Bohrer und
Schaber den Fingernägeln nachgebildet, und so läßt sich
an den verschiedensten Werkzeugen eine Grundform er-
kennen, auf die sie zurückzuführen sind. Hammer,
Messer, Säge, Keil und Meißel, vor allem aber die Axt
bieten vortreffliche Beispiele, an denen wir diese Ent-
wickelung von den Formen der Urzeit bis zu denen der
Gegenwart verfolgen können (Fig. 1—11). Wie sich
aus einer rohen, noch ungeschliffenen Steinplatte allmäh-
lich die feingeschliffene und polierte Steinaxt entwickelte,
wie dann weiter durch Verwendung der Metalle
(Kupfer, Bronze, Eisen) eine größere Mannigfaltigkeit
in der Gestaltung ermöglicht wird, während sich der
Begriff der ursprünglichen, in der Grundform schon
ausgedrückten Tätigkeit durch eine ganze Reihe von
Verwandlungen hindurch unverändert erhält, ist an
derartigen Beispielen leicht nachweisbar.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XIX. H. 5

Für jedes Werkzeug kommt vor allem die »Hand-
lichkeit« in Frage, die Anpassung desselben an die
Hand als das Organ, zu dessen Unterstützung das
Werkzeug bestimmt ist. Ein Werkzeug wird stets
um so leichter und bequemer zu handhaben sein, je
mehr es sich in seinen Formen den organischen Ver-
hältnissen des menschlichen Körpers anpaßt. Dadurch
wird bei der Gestaltung des Werkzeuges ebensowohl
dem Standpunkt der Nützlichkeit wie dem der Schön-
heit Rechnung getragen; Handlichkeit und dem Auge
wohlgefällige Verhältnisse bedingen sich gewissermaßen
gegenseitig. Hierfür ist die Axt ein geradezu muster-
gültiges Beispiel, wie ein Blick auf die amerikanische
Axt zeigt, die in ihren Verhältnissen sich dem mensch-
lichen Arme wunderbar anpaßt (Fig. 12). In den
Ein- und Ausbiegungen des Helmes, in ihrem Ver-
hältnis zum Längsdurchmesser, sowie in den Abmes-
sungen der einzelnen Abschnitte des Helmes und in
der Gestaltung des Eisenteiles zeigt sie, namentlich ver-
glichen mit unserer gewöhnlichen deutschen Axt (Fig.13),
eine solche Vollkommenheit, daß man sie nicht nur
als absolut zweckmäßig, sondern auch als schön
bezeichnen darf. Sie könnte direkt als ein Erzeugnis
des Kunsthandwerkes gelten und würde sich sehr
wahrscheinlich des Beifalls von van de Velde erfreuen.
Zugleich ermöglicht sie bei dem gleichen Kraftauf-
wand eine zwei- bis dreimal so große Leistungsfähig-
keit als die deutsche Axt.

Was hier von einem Handwerkszeug gesagt worden
ist, gilt mehr oder weniger auch von anderen, nur
daß sich ihre Entwickelung nicht immer in gleicher
Klarheit übersehen läßt (Fig. 5—7, 19, 20).

Der Urmensch bedurfte zunächst nur solcher Werk-
zeuge, die ihm im Kampfe mit seinen Feinden und
Beutetieren nützlich waren; Messer, Lanzenspitzen, Stein-
hämmer und andere Waffen sind also wohl die ersten
Werkzeuge gewesen, denen sich erst später Mahlsteine,
geflochtene Netze, Tongefäße und andere Werkzeug-
vorrichtungen zugesellten. Der Wert der Werkzeuge
steigerte sich naturgemäß mit der Verwendung härterer
Stoffe, durch die das Werkzeug eine größere Haltbar-
keit erhielt und wodurch eine zweckmäßigere Ge-
staltung desselben möglich wurde. Der entscheidendste
Fortschritt aber war der künstliche Gebrauch des
Feuers, der weiterhin zu der Bearbeitung der Metalle
führte. Von der Bedeutung dieses Fortschrittes kann
man sich auf den ersten Blick kaum die richtige Vor-
stellung machen; jedenfalls erhellt sie schon daraus,

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