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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pollak, Friedrich: Verborgene Kunstschätze in Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0099
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VERBORGENE KUNSTSCHÄTZE IN TIROL

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Abb. 1. Schnitzaltar in der Walpurga-Kapelle oberhalb Keniaten

mentik der Späigotik ist wohl ein Erzeugnis der
Pustertaler Schule aus dem Beginn des 16. Jahr-
hunderts. Die gedrungenen Figuren desselben finden
wir in Arbeiten dieser Schule, in den Altären zu Hofern
bei Bruneck (Tirol) und Corvara im Ennebergtal
(Tirol) wieder. Pachers Einfluß ist in dem be-
krönenden Kruzifix sowie in dem mantegnesken
Schweißtuch zu verspüren. Während die Engel, wie
schon erwähnt, italienisierend sind, geht der Typus
des Christus auf den des Kolossalkruzifixes in Bruneck
zurück, der wohl ziemlich sicher Pacher gehört.
Ganz sicher steht in Tirol für Pacher nur der Altar
in Gries bei Bozen fest. —

Stilistisch viel interessanter ist der bloß zweistöckige
Altar der Walpurgakapelle, ebenfalls nur eine Stunde
von Sand, oberhalb des Dörfchens Keniaten. Ich
stelle dieses Werk (Abb. 1), welches im Gegensatz
zum Weißenbacher Altar in einer etwas harten Tempera
gemalt ist, um 1470—80. Im Hauptstockwerke be-
finden sich in der Mitte der hl. Georg und der
hl. Florian zu beiden Seiten der hl. Walpurga.
Im rechten gemalten Seitenflügel befindet sich vorne
der hl. Markus, hinten in zwei Feldern die Kreuztragung
und die Grablegung. Linker Flügel: Vorne der hl.
Hyppolitus, hinten die Kreuztragung und Christus am
Ölberg. Alle diese Figuren sind etwa 1 m hoch,
bemalt, der Goldgrund ist mit eingepflanzten Orna-
menten bedeckt. Im Untersatz befinden sich in der

Abb. 2. Schnitzallar In der Pfarrkirche zu Weißenbach

Mitte die 35 cm hohen Statuetten der hl. Margarete,
Barbara, Agnes und Katharina. Rechts im Bilde die
hl. Elisabeth, hinten die hl. Anna, links vorne Maria,
hinten Christus als Schmerzensmann. Die Schnitz-
figuren sind viel realistischer wie die Meister Pachers,
sowie des obigen Altars; die guten Bilder stehen
technisch und stilistisch dem Michael Wohlgemut
nahe. Sehr merkwürdig dagegen sind die beiden
großen Tafeln des Markus und Hyppolitus. Diese
beiden, ganz ungemein vornehm und feingezeichneten
Figuren stammen ganz sicher nicht aus reindeutscher,
sondern aus niederländisch beeinflußter Meisterhand.
Während der Hyppolitus mehr von Memling abhängt,
scheint der Markus von Roger van der Weyden in-
spiriert zu sein. Auch die Gewänder der beiden
weisen auf diesen niederländischen Einfluß. Hyppo-
litus, goldgelockt, mit einem Bündel Speere (vielleicht
ist hier der hl. Sebastian gemeint) trägt spanische
Höflingstracht mit verschnürten Atlasärmeln. — Markus
dagegen, bartlos, ebenfalls goldgelockt, rotes langes
Untergewand mit grünem Obermantel. Das Werk ist
gänzlich unberührt, in trefflichem Zustande. Wer der
Meister dieser beiden herrlichen Figuren war, ist nicht
bekannt, es sind aber entschieden Meisterwerke. Da
das Salzburger Erzstift gerade in diesen Tälern große
Besitzungen hatte, und dessen Wanderkünstler in diesen
Gegenden nachweisbar viel gearbeitet haben, so ist
es immerhin leicht möglich, daß einer dieser weit-

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