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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Lux, Joseph August: Zu Joseph M. Olbrichs Gedächtnis: eine Charakteristik des Menschen und des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0117

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ZU JOSEPH M. OLBRICHS GEDÄCHTNIS







die seine geberische Hand darreichte. Mit der freundlichen Erlaubnis des Verlegers greifen wir heraus, was
sich auf den ersten Griff darbietet, es ist immer ein guter Fang. Sein eigenes Haus auf der Mathildenhöhe
mit der Vorgartenanlage, gebaut um 1900. Aber das geistige Leben an der Physiognomie des Hauses und
Gartens scheint mir unvergänglich und die Grundlinien des Gartenbildes haben bei allem Individualismus
eine Ahnenverwandtschaft mit langen Generationen von Gärten aus der Vergangenheit und mit einer langen
Geschlechterreihe, die in der Zukunft kommen wird. Und so will es mir mit seinem Ausstellungsbau, dem
Sezessionsgebäude in Wien, erscheinen, wenn ich von einigen Äußerlichkeiten und von Reminiszenzen über-
lieferter Tempelkunst, die den Künstler damals vorübergehend reizten, absehe. Er hat damals den Kunst-
gedanken der Ausstellung neu geschaffen, was der bleibende Wert der Sache ist. In dem Ernst-Ludwig-Haus
hat er den Gedanken in einer anderen Form versucht, und das Werk ist heute noch so schön wie am ersten
Tag. Eine Skizze zu einem Wohnhaus, die sicherlich aus einer sehr frühen Zeit stammt, belehrt uns, wie
der Künstler es verstand, sich mit seinem neuen Werk einer heimatlichen Überlieferung liebevoll anzuschmiegen,
ohne dabei seine persönliche Art zu verleugnen, und ohne eine der 365 undefinierbaren Heimatstile zu imi-
tieren. Der südliche Baugeist lebt auch in dieser Skizze, die Formensprache, die das künstlerische Charakter-
bild Süddeutschlands und Österreichs so überaus sympathisch macht. Italienischer Geist steckt in diesen
ganz schlichten Formen, in diesen loggienhaften Gebilden, Terrassen, Treppen, in der stilistischen Neigung,
geschnittene Bäume, Solitärpflanzen, Kugellorbeer vor die blendend weiße Architektur zu stellen, und die
Pflanze als stilistischen Wert mitsprechen zu lassen. Irgendein willkürlicher Ausschnitt: Das Gartentor in
Darmstadt bannt sofort eine klassische Stimmung, die überall da ist, wo eine Ahnung von der großen Stil-
kunst lebt. Es ist der Renaissancegedanke, der auch in Deutschland alles Großzügige zu schaffen half. Und
man sehe sich in diesem Zusammenhang seine Skizze zu einer Gartenmauer an und man wird etwas von
diesem großen Zuge spüren. □

Und nun möchte ich das Wort aussprechen, das nicht ohne Gedankenvorbereitung laut werden darf:
Dieser modernste unter den Modernen war Renaissancemensch durch und durch. Zum Beweis: sein ober-
hessisches Haus in der Darmstädter Ausstellung enthält florentinischen Geist, wenn auch ins Intime, Haus-
bürgerliche gewendet. Man kann nicht sagen, daß es ein Palast ist, aber man kann in einer fernen Beziehung
daran denken. Ganz deutlich spricht sich dieses große, ruhige Gleichmaß der alten florentinischen Baukunst,
die von weither griechisch-orientalische Einflüsse verarbeitete, die Kunst von Byzanz kannte, die über Venedig
und Ravenna den Weg nach dem Herzen von Italien fand, in seinem Düsseldorfer Warenhaus aus. Aber
dieses Warenhaus ist ein durchaus moderner Bau, wenn auch unvollendet geblieben. Er hat alles, was raffi-
nierte Zweckmäßigkeit nur verlangen kann. Jedoch aus bloßer Zweckmäßigkeit, aus ein paar armseligen Rezepten
von Sachlichkeit und Ehrlichkeit entsteht noch kein Kunstwerk. Und sein Warenhaus ist ein Kunstwerk.
Es hat Rhythmus, Gleichmaß und Bewegung, Harmonien, die durch die Eigenart ihres Schöpfers bedingt
sind und die wir mit gutem Recht klassisch nennen können. Der Künstler gab in dem Kennwort des Ent-
wurfes zu jenem Bau selbst einen Fingerzeig, der nach Florenz weist. Aber man darf sich die Sache nicht
so denken, daß er nach Italien ging, um die Form zu finden, die er seinem Werke geben soll. Auf diese
Weise entstehen nur geringwertige Stilkopien. Die Sache ist hier vielmehr so, daß der Künstler wie durch eine
geheime Geistes- und Rassenverwandtschaft zu jenem harmonischen Gleichmaß neigte, das auch in der italie-
nischen Wiedergeburt hellenischer Geist und zugleich Gemeingut jeder sich harmonisch vollendenden Kunst
ist. Olbrich hatte dafür einen guten Grund gelegt und die Tausende von Blättern, die aus seiner italienischen
Studienzeit stammen, bezeugen, daß der Künstler auch in Italien nichts suchte, als sich selbst, das heißt, die
Bestätigung der ihm eingebornen Idee einer rhythmisch beherrschten Baukunst. Sein neuer Bau auf der
Mathildenhöhe, die Kunsthalle in Verbindung mit dem berühmten Turm, ist einer Akropolis vergleichbar
mit dem heiligen Hain und den Weiheräumen für die Kunst, die in der Höhe thront. Aber auch das
schlechthin Praktische, allerdings über die typische Alltäglichkeit hinaus durch feine Akkorde von Linien und
Farbe gesteigert, fand in ihm einen Meister, der das Intime von der Trivialität, das Sachliche von der Nüchtern-
heit zu erlösen verstand. Seine Bleiskizzen zu Schlafzimmermöbeln verraten, wie intensiv sich der Künstler
mit den Notwendigkeiten des täglichen Lebens zu beschäftigen gewohnt war und wie er schon damals, in
den ersten Jahren der Bewegung, klare Formen ohne stilistischen Umschweif gab, die heute von gewisser
Seite als neuste Erfindung verkündet werden. Das Behagen eines Biedermeierraumes ist in dem Wohnzimmer
»Haus Keller«, und dennoch ist keine Spur von Biedermeier-Imitation, keine direkte Anlehnung, sondern die
bloße Stimmung, die verbindliche Lebensart, jenes imaginäre Element, das als einziges Vorbild aus jener
Zeit für uns Berechtigung hat. Und wie diese Art zu gestalten, aussieht, wenn sie auf Dinge der Kleinkunst
angewendet wird, mag aus der Standuhr und der Studie zu einer Standuhr aus Zinn, um nur einige Gegenstände
aus der zahllosen Fülle seiner kunstgewerblichen Entwürfe zu nennen, ersehen werden. Ohne der Vernunft
Gewalt anzutun, um künstlerische Stimmung zu verbreiten, verstand er es wie kein anderer, in den Räumen,
die er schuf, einen gewissen »genius loci« zu erwecken, demnach in den Wohnzimmern eine gewisse behäbige
Eleganz, in den Speisezimmern Helligkeit und Feststimmung, in den Arbeitszimmern ruhiger und ernster
Komfort herrschte, davon wir aus seinen frühen »Ideen« ebenfalls ein köstliches Beispiel entnehmen. d

Aber um wie vieles gereifter sind trotzdem seither seine Arbeiten geworden. Ich wähle, um es zu zeigen,
wieder ein Beispiel auf einem Gebiet, wo fast alle bisher Schiffbruch gelitten haben. Ich meine das kleinste
 
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