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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Lux, Joseph August: Zu Joseph M. Olbrichs Gedächtnis: eine Charakteristik des Menschen und des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0119

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ZU JOSEPH M. OLBRICHS GEDÄCHTNIS







Haus, das für die Börse des Kleinbürgers erreichbar ist. Eine Skizze in den »Ideen« ist lehrreich dafür,
daß er sich zu beschränken wußte, wenn es galt sparsam zu sein. Derselbe Künstler, der den Reichtum
liebte und der dem materiellen Überfluß den geistigen Adel der Kunst zu verleihen wußte, ist geradezu unerreichter
Meister in der künstlerischen Durchbildung einer anscheinend so nüchternen und undankbaren Aufgabe, in
einem Arbeiterhause. Sein Arbeiter- oder Kleinbürgerhaus auf der Darmstädter Ausstellung 1908 ist geradezu
ein Wunder von Poesie und Zweckmäßigkeit. Es ist auch auf dieser Reihe der Schöpfungen — und Olbrich
beherrschte alle Reihen der künstlerischen Gestaltung — ein Höhepunkt. Wie angestrengt sich auch die
Künstler und Techniker um dieses Problem bemühten, keiner hat auch nur annähernd erreicht, was Olbrich
mit diesem Viertausend-Mark-Häuschen schuf. o

Es wird mir nicht gelingen, in diesem engen Rahmen den ganzen Umfang seines Schaffensbezirks zu
erschöpfen. Wir stehen vor einem Nachlaß von mehr als 20000 Blättern, davon jedes einzelne ein neuer
Ideen wert ist. Ein Millionenschatz ist hier aufgespeichert, an dem Generationen zehren werden! Hoffent-
lich fehlt es nicht an der kunstökonomischen Einsicht, daß es notwendig ist, diesen Schatz um jeden Preis
zusammenzuhalten. Der Versuch, auf den Umfang und Inhalt seines Schaffens einzugehen, muß an der
Unendlichkeit der Aufgabe scheitern. Nur um die Charakteristik seiner Persönlichkeit in einigen Hauptpunkten
zu ergänzen, will ich noch an einige andere bedeutsame Schöpfungen seiner Hand erinnern, die an Voll-
endung jene Ideen aus der Frühzeit bedeutend überragen, aber immerhin mit ihnen durch die Folgerichtig-
keit seiner Entwicklung verwandt sind. Was ich hier noch nennen will, ist zwar weithin bekannt, aber
nicht immer nach Verdienst gewürdigt worden. Seinen »Farbengarten« habe ich mehrfach erwähnt; er ist
ebenfalls eine Schöpfung aus erster Hand. Sein Frauenhof zu Köln ist minniglich; eine Symphonie von
schlichten Mauern, dämmerigen Hallen, klösterlichen Gängen, tiefversteckten Gärten; ein vielfach verschlungenes
Gehege von Blumen und prangenden Farben, das Geheimnis der Schönheit zu hüten, die wir lieben müssen.
Was die mittelalterlichen Dichter mit dem Ausdruck Seelengärtlein bezeichneten, das den weitesten Begriff
der Minne umschließt, war hier sichtbar gemacht, verkörpert in Stein, in Raum, in mannigfach modifiziertem
Licht, in Farben und Pflanzen und Kostbarkeit; in die Realität unseres Alltags hineingestellt und, — was das
große Wunder ist — sich hier behauptend ohne Pose, ohne theatralische Affektion, rein durch die zwingende
Kraft des natürlich empfindenden und naiv schaffenden Genies. Was der Künstler damals wollte, brachte
er später in der Kunsthalle auf der Mathildenhöhe, von der ich später noch zu sagen habe, wieder zum
Ausdruck. Sein Damenzimmer auf der Mannheimer Ausstellung 1907 war ein Farbengedicht und ein
Wunder von Neuheit der Formen, diszipliniert durch einen geradezu aristokratischen Takt, in dem Frei-
heit und Zurückhaltung zugleich liegt. Das war nur ein der Öffentlichkeit preisgegebenes Beispiel der un-
gezählten Schöpfungen auf diesem Gebiet, die von Olbrich existierten. Es ist ein Geheimnis, daß Olbrichs
Entwurf für die Brunnenkolonnade in Karlsbad die weitaus beste Lösung war; wenngleich ihm von der Jury
kein Preis zuerkannt worden ist. Darüber gibt es kein Verwundern, und ich behaupte, daß die Preisgerichte
in ihrer gewöhnlichen Zusammensetzung überhaupt niemals in der Lage sind, die besten künstlerischen Lei-
stungen zu erkennen und auszuzeichnen. Olbrichs Entwurf für Karlsbad war der einzige, der eine Über-
raschung und eine wirkliche Schönheit brachte. Dem glücklichen Wurf des Baseler Bahnhofs folgte vor
einiger Zeit das Konkurrenzprojekt für die Empfangshallen eines neuen Darmstädter Bahnhofes. Keinem
der andern Preisbewerber ist es gelungen, die breit auslaufende Masse der Baulichkeiten in zusammenklingenden
Proportionen so zur Einheit zu bringen, wie es an dem Olbrichschen Entwurf ersichtlich ist. Beinahe hätten
sich auch hier die Preisrichter blamiert. Der zweite Preis, den er erhielt, ist fast eine halbe Blamage. o

Was soll ich erzählen von den vielen vergeblichen Versuchen, Mauern des Stumpfsinns einzurennen, die
das Los des Künstlers von heute sind? Was soll ich erzählen von dem unversieglichen Schaffensmut, der
mit ungebrochener Freude immer wieder von neuem begann und für alles Unrecht den Trost empfing und
den vollen Segen, den seine liebe Kunst auf seinem Haupte sammelte? o

Und er empfing ihn wie ein dankbares Kind, mit leiser, liebevoller Entzückung nur die Worte stammelnd:
»Meine liebe Kunst«! °

Was soll ich erzählen von der überströmenden Begeisterung seiner Auftraggeber und Bauherren, die in
ihm sofort einen teuren Freund liebten; was von den hassenden Anfechtungen der Fernstehenden, die sich
in die eifrigsten Anhänger verwandelten, sobald sie nur eine Stunde mit ihm gesprochen hatten, und schon
in dieser einen Stunde um einen köstlichen Seelenbesitz reicher waren! Ich will es kurz und bündig sagen:
Er war ein Künstler. Und Künstler sein heißt zugleich auch Dichter sein. Und es heißt ferner, zugleich
auch Philosoph sein. Und vor allem heißt es: ein guter, reiner, starker Mensch sein. Und darum ist in
unserer Zeit ein rechter Künstler eine so kostbare Seltenheit, wie viele sich auch mit diesem Titel schmücken
mögen. ■>

In schönen Oktobertagen, als das Ausstellungsjahr zu Ende neigte, sollte das letzte Fest begangen werden,
um den Reigen zu schließen. Ein Fest der Trauer um den großen Toten, in dem die kleine Kunstrepublik
auf der Mathildenhöhe alles verlor, was sie zu verlieren hatte. o
 
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