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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hellwag, Fritz: Neue Wohnräume von Bruno Paul
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0153

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NEUE WOHNRÄUME VON BRUNO PAUL







BRUNO PAUL, Waschtisch aus einem Schlafzimmer (ausgeführt durch die Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk, A.-O.). Möbel in weißem Ahornholz matt poliert
mit Intarsien von grau gebeiztem Ahornholz; Waschtischplatte aus Pavanazza-Marmor;
Wandbespannung aus grau mit lila bedrucktem Leinen.

etwas auszurichten? Bei wem denn? Bei Architekten?
Soll man denen Grundrißgestaltung, Fensterprobleme,
Überführungen von Wand zur Decke und dergleichen in
Form von Musterbeispielen, denen kanonische oder kunst-
pädagogische Geltung verliehen werden soll, vorführen?
Doch wohl nicht. Bauschülern? Da greift man der Schule
vor. Handwerkern? Tischlern, Schlossern, Goldarbeitern?
Wird es da nicht heißen: Wer fertig ist, dem ist nichts
recht zu machen? Will man ein Handbuch herausgeben,
etwa in der Art von F. S. Meyers Ornamentik, oder
Bilderbogen, wie Alfr. Gotth. Meyers Möbeldarstellungen?
Und was hofft man mit solchen Normalblättern oder
kleinen populär geschriebenen Heften zu erreichen? All-
gemeine Hebung des Geschmacksniveaus? Dazu gehört
doch mehr als eine solche Publikation; es gehört vor
allem dazu, daß man die, für welche diese Arbeit ge-
münzt ist, veranlaßt, ja zwingt, sich intensiv damit zu be-
schäftigen. Soll die breite Masse, oder auch nur die Zahl
der 18000 Mitglieder der angeschlossenen Vereine darin
unterrichtet werden, wie der Grundriß eines Arbeiter-
hauses zu gestalten sei, wie das Fensterproblem in diesem
oder jenem Falle zu lösen sei, welcher Entwurf zu einem
Garten als Norm angesehen werden solle? Hier erheben
sich allerlei Bedenken. Wer unterrichten, bilden will, muß
doch zuerst die Bildungsstufe in Betracht ziehen, auf die
er einzuwirken sich berufen fühlt. Und eine Publikation
ist stets ein Individuum, das in allen Einzelheiten genau
bestimmt ist und sein eigenes Gesicht hat. Endlich: ein
guter Architekt ist noch lange kein guter Lehrer; große

Maler von ausgesprochener Individualität sind
selten pädagogisch veranlagt. Ehe man hier
die Regierungen veranlaßt, Mittel bereitzu-
stellen, müßte doch der Grundriß, Aufriß und
Schnitt dieses Lehrgebäudes klar vorgezeichnet
sein. Das war es, wenigstens in der Dar-
stellung des Referenten, nicht. Der deutsche
Büchermarkt bringt jährlich 30000 neue Werke
hervor; die geistige Speisekarte unseres Volkes
ist also sehr reich; das kommt daher, daß
die Geschmacksrichtungen so sehr verschieden
sind; und allgemein gültige Werke gibt es
kaum. Die kunstgewerblichen Zeitschriften
arbeiten in der Hauptsache empirisch. In
gewissem Sinne gilt da doch wohl das Wort
Hegels: Das Bestehende ist das Vernünftige;
das den Seinsbedingungen Gemäße. Wir
fürchten sehr, daß bei allzu großer Eilfertigkeit
hier eine verunglückte Publikation mehr ent-
steht, eine Art gedruckter Geschmacksakademie,
die jedenfalls keine allgemeine Geltung ge-
winnen wird. Denn der eine Künstler ist von
Natur des andern Gegensatz und Widerspruch.
Schon daß der eine Beurteiler möglichst popu-
läre Darstellung, der andere eine weniger
populäre wünscht, ist bezeichnend. Kann
Architektur überhaupt populär gemacht werden?
Man stelle sich vor, die besten Architekten der
Neuzeit hätten jeder auf eigene Faust die
angedeutete Idee auszugestalten, eine Art Ge-
schmackskatechismus (wie Prof. A. Haupt sagte)
zu schaffen. Wie anders würde der ausfallen,
je nachdem Wallot, Messel, Theodor Fischer
oder Olbrich diese Aufgabe zu lösen unter-
nommen hätte. Und einigte man sich auf
einen: wie lange soll dieser Kanon gelten?
Kurzum, es scheint uns, als ob hier noch
allerlei zu bedenken wäre, ehe man Gold in
Papier umsetzt. n

d Eine wertvolle Darbietung des Tages war die Klar-
stellung des Begriffs Volkskunst, den der Direktor des
statistischen Amts in Halle a/S., Dr. Wolff, von der volks-
wirtschaftlichen Seite her festzulegen suchte — und wußte.
Er gab zunächst eine kurze Übersicht über die einander
widersprechenden Auslegungen dieses Begriffs und wies
auf die Verwirrung hin, die die unklare Ansicht über die
Bedeutung des Wortes hervorgerufen habe. Er führte dann
mit logischer Schärfe und Klarheit aus, daß wahre Volks-
kunst nur immer dort geblüht habe, wo das Volk wirt-
schaftlich unabhängig gewesen ist; wo die Arbeit keine
bloße Erwerbstätigkeit ist, wo die Objekte nicht für den
Verkauf, für den Gütertausch hergestellt wurden, sondern
höchstens als Geschenke ihren Weg zum Nachbar fanden.
Volkskunst definierte der Referent als die Phantasiekunst,
die das Volk unter Anwendung seiner primitiven Tech-
niken zum Zweck der Verschönerung seiner Gebrauchs-
gegenstände und Schaffung von Phantasiegegenständen
ausübt. Volkskunst war nie Stilkunst; ihre Voraussetzungen
sind: wirtschaftlich gesicherte Lage des Volkes, Produktion
für Eigenbedarf und Beherrschung der Techniken für die
Gebrauchsproduktion; Lohnarbeit, Kundenproduktion schlie-
ßen Volkskunst aus. Der Vortragende meinte, Volkskunst
sei heute tot, weil sie nur in der geschlossenen Haus-
wirtschaft, die heute nicht mehr gefunden wird, gedeihe.
Eine Kunst aus dem Volke sei heute nicht mehr denkbar,
statt dessen suche man eine Kunst fürs Volk zu schaffen,
n Direktor Pabst aus Leipzig machte gegen die Aus-
führungen des Redners geltend, daß ihm der Begriff allzu
 
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