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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Bauer, Curt: Das hamburgische Museum für Kunst und Gewerbe und seine Neugestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0011
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NEUORDNUNG IM HAMBURGISCHEN KUNSTGEWERBE-MUSEUM

die einst auf ihnen wohlgefällig weilten, öffnen sich uns dort
wieder und treffen mit unseren Augen zusammen. Die
unnennbare Kluft, die zwischen der Innen- und Außen-
welt liegt, wird von der Kunst überbrückt: sie prägt see-
lische Bewegungen dem Materiale auf und setzt dem rein
Stofflichen an Innerlichkeit das hinzu, was sie ihm an
äußerer Naturwahrheit nimmt. d

a So macht die Kunst die Empfindungsweise derer, die
in ihr tätig sind, andern für das bloße Auge sichtbar,
macht sie der Menschheit zugänglich. Sie bildet ein gei-
stiges Bindeglied unter Menschen vermittels des äußeren
Sinnes. Während in ihr auf diese Weise das geistige
Leben ein sinnliches Zentrum findet, verwirklicht sie jene
hohe Kultur, in der Wille und Ausdruck unbewußt, un-
mittelbar zusammentreffen. Der beste Segen eines Volkes
ist daher seine Kunst: nicht nur als beruhigendes Zeichen
innerer Fruchtbarkeit, sondern auch als Möglichkeit, die
Kräfte vieler zu heben und zu entwickeln, die Sehnsucht
der Volksseele zu stillen. □

□ Die Gesetzmäßigkeit aller menschlichen Schöpfungs-
kraft tritt besonders dort deutlich hervor, wo weniger
der Genius des Einzelnen als der des ganzen Zeitgeistes
am Werke ist: in der Architektur und im Kunstgewerbe.

□ Die modernen Museen für Kunstgewerbe haben indessen
nicht nur die Aufgabe, den Beobachter zurückzuführen in
ferne Zeiten, zur tieferen Quelle des bewegten Lebens, das
uns heute umgibt. Sie wollen auch zu neuem Schaffen
anregen. Dies Schaffen entströmt der inneren Wärme, die
jene Gegenstände verleihen, sobald sie die Seele des Be-
obachters durch Formen und Farben in rhythmische Be-
wegung versetzen. □
o Es handelt sich also bei unseren Museen neben ihrer
historischen Aufgabe darum, alle Einzelheiten zu einem
ästhetischen Gesamtbilde zu vereinen, so daß sich ihre An-
ordnung in erster Linie als das Werk eines künstlerischen
Sinnes zu erkennen gibt. □
o Was gerade in der neuen Schausammlung des Ham-
burgischen Museums für Kunst und Gewerbe dem Beob-
achter zuerst anspricht, das ist diese harmonische Zu-
sammenstimmung aller ausgestellten Gegenstände in Farben
und Formen. Schon äußerlich soll der Besucher den Auf-
enthalt in diesen Räumen wohltuend empfinden, bereits
vom Gesamteindruck gebannt, soll er alle Einzelheiten aus
einer erhöhten Grundstimmung aufnehmen können. Nicht
bloße Wißbegier darf ihn eilig von einer Stilart zur andern
treiben, um sein Gedächtnis zu belasten. Liebevoll muß
sein Blick überall durch schöne Gruppierungen festgehalten
werden, die sich dem Auge einprägen und ihn weit über
die Mauern des Museums hinaus zu begleiten vermögen,
o Die südwestliche Ecke der vom Hof belichteten Gänge
ist den gotischen Truhen und mittelalterlichen Bildwerken
vorbehalten (Abb. S. 3). Das Hauptmöbel dieser Zeit, die
Truhe, tritt hier am meisten hervor. Stimmungsvoll schim-
mern von ihnen aus dem Halbdunkel Leuchter, Sammel-
schalen usw. Einen anziehenden Konzentrationspunkt
bildet die außerordentlich schöne Johannesschüssel mit
den Evangelistensymbolen vom Jahre 1500, die von zwei
Seiten matt belichtet mit dramatischem Ausdruck das Auge
in die äußerste Gangecke zieht. Daneben ein dunkel-
gebeizter großer Schrank aus der Spätgotik; ihm gegen-
über lehnt ein unscheinbarer Schrank gegen die Säule, der
indessen zu den ältesten erhaltenen gehört und seine
äußere Anspruchlosigkeit durch historischen Wert ausgleicht.
d Von dieser südwestlichen Ecke aus laufen zwei Zimmer-
reihen, deren eine die Entwickelung des niederdeutschen
Möbels vom Ende des Mittelalters bis zum Beginne des
19. Jahrhunderts veranschaulicht, indes die zweite das
Mobiliar anderer als niederdeutscher Herkunft von der

Renaissance bis zum Empirestil enthält. Keines dieser
Zimmer will das getreue Abbild eines Wohnraumes einer
bestimmten Zeit in einem bestimmten Lande darstellen.
Derartige Aufgaben zu lösen bleibt der nächsten Zukunft
vorbehalten. Hier handelte es sich zunächst darum, eine
so lückenlose, wie knappe Anschauung von der Gesamt-
entwickelung des Möbels zu geben. Lückenlos, weil trotz
des Verzichts auf die Vorführung minderwertiger Beispiele
ornamentales Getäfel das, hie und da noch fehlende,
typische Mobiliar soweit zu ersetzen sucht, wie es die
Charakterisierung der betreffenden Stilart erfordert. Knapp
genug, um die verschiedenen Stile als ein ineinander-
gehendes Ganzes erscheinen, die verschiedenen Zeiten in
ihrem Zusammenhange leicht und schnell in die Vorstellung
des Beobachters eingehen zu lassen. □

o Dorthin verstreut, wo sie am meisten das Milieu zu
heben imstande sind, finden wir die ausgesuchten Perlen
der Sammlungen. So das glasierte Kachelrelief einer Ma-
donna Andrea della Robbias im ersten Saale, in dem zahl-
reiche Truhen, Getäfel und Wandteppiche uns in die Re-
naissance führen. Hier befindet sich auch der prächtige
Rostocker Pokal aus vergoldetem Silber mit außerordent-
lich fein ziselierten Jagdszenen, der sich von einem blau-
grundierten niederländischen Teppich abhebt. Ein beson-
deres Zimmer ist der holländischen Spätrenaissance ein-
geräumt. Der Bürgerwohlstand jener Zeit tritt uns aus
den reichverzierten, in warmen Tönen gehaltenen Schränken
entgegen. Dazu die orientalische Tischdecke, zahlreiche
Stühle usw. erinnern den Besucher an jenes eigentümliche
Lebensmilieu, wie es nur auf den Bildern holländischer
Kleinmaler überliefert ist. Durch die schweren, reich-
geschnitzten Möbel süddeutscher Renaissance gelangen wir
nach einigen Streifblicken auf das Barock und die Regence
zum Rokoko, das in seinen verschiedenen Erscheinungs-
formen vertreten ist. Während das vierte Zimmer das
frühe Rokoko einleitet, fällt der Blick bereits auf die an-
ziehenden Gruppierungen des nächsten Raumes im Stil
Louis XV. (Abb. S. 6). Dort führt uns auch eine Ottomane
und Sessel mit erneuerten Bezügen der Tapisserie d'Au-
busson in das bunte Gesellschaftsleben jener Zeit, als der
Hof nach langen Jahren wieder von Versailles nach Paris
zurückgekehrt war. Überall sind Leuchter, Vasen, Uhren
wie sie damals beliebt waren, auf den Möbeln verteilt, und
die warmen Farben der leichten, geschwungenen Schränke
und Kommoden stehen lustig auf dem lichtgrünen Hinter-
grund. Besonders reichhaltig an Gegenständen der Klein-
kunst ist das letzte Zimmer mit den Möbeln vom Empire
bis zum Biedermeierstil: eine kostbare Sammlung von
Leuchtern, Standuhren und Miniaturen. Eine kleine Gruppe
aus Porzellanbiskuit, die Königin Louise mit ihrer Schwester
nach Schadow, weist in die hohe Kunst hinüber. Das
köstliche, blumenreiche, große Saalgetäfel ist hier indessen
nur provisorisch eingebaut. Es zeigt eine französische
Arbeit im Stile der Spätzeit Louis XVI. aus einem ham-
burgischen Hause und wird später im besonderen Zimmer
angebracht werden. — Dichter zusammengedrängt mußte
das niederdeutsche Möbel in den kleineren westlichen Sälen
werden. Aber auch hier fanden sich die verschiedenen
Gegenstände zu einheitlichen Gruppen zusammen, so ein
Zimmer von mehreren mit Eben- und Nußbaumholzein-
lagen versehenen Schränken, ein anderes mit den Ham-
burger Schapps, jenen eigentümlichen zweitürigen Schrän-
ken aus dem 18. Jahrhundert. Im letzten Räume wirken
an einer Wand drei Schränke, auf denen Delfter Fayencen
stehen, besonders wohltuend zusammen (Abb. S. 5). Die
anliegenden südlichen und westlichen Gänge sind mit vielem
geschnitzten Getäfel ausgefüllt, das die Möbel beider Ent-
wickelungsreihen glücklich ergänzt. □
 
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