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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Krefting, Walter: Die Geschmacksbildung des Volkes durch die Pflichtfortbildungsschule [S. 13: Erich Kleinhempel]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0019

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GESCHMACKSBILDUNG DURCH DIE FORTBILDUNGSSCHULE

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holen. Ich skizzierte wiederum acht gleiche Buchformate
an die Tafel, an welchen ich in verschiedener Weise eine
Reihe Schrift andeutete. Bei der Abstimmung vereinte
sich nun auch in dieser Klasse mehr als die Hälfte aller
Schüler auf die Teilung nach dem goldenen Schnitt. Aber
auch bei kleinen Kindern, bei einem noch nicht zweijährigen
Kinde habe ich es beobachtet, bemerken wir ein Empfinden
für Rhythmus, oder sagen wir vorsichtiger für den Wechsel.
Ich gab z. B. meinem Kinde Knöpfe und Ringe zum
Spielen, beim Aneinanderreihen (an sich schon eine
schmückende Tätigkeit) wechselte es ständig Ring und
Knopf. Beobachtungen bei Erwachsenen, auch bei ganz
unkultivierten Völkern, sind zu bekannt, als daß sie er-
wähnt werden müßten. Wenn aber auch diese Empfin-
dungen im Menschen nicht lebendig wären, dann würden
wir doch immer noch einen Halt für unsere Bemühungen
finden, in der Macht des Outen, in der Liebe, die bis zu
einem gewissen Grade auch noch in dem rohesten Menschen
wohnt. Rousseau sagt irgendwo, daß selbst der Meuchel-
mörder noch Mitleid empfindet, und daß deshalb selbst
bei diesem noch nicht alles verloren ist. Wir können auf
diesen Gefühlen aufbauen, weil die Geschmacksbildung
keine rein formale sein soll und kann, vielmehr als Teil der
allgemeinen sittlichen Erziehung zu betrachten ist. o
□ Wie in der Erziehung überhaupt, so muß auch in der
Ausbildung des Schönheitssinnes und somit eines guten
Geschmackes der Grund im Kindesalter gelegt werden und
zwar soll man dabei auch die ersten Jahre nicht unbeachtet
lassen. L. Gurlitt fordert eine künstlerische Ausstattung
des Kinderzimmers, bemerkt dann aber, daß zwar ein
geschmackbildender Einfluß kaum vorhanden sein würde.
Ich bin nicht dieser Ansicht und habe beobachtet, daß eine
Änderung des Zimmers sehr bald die Aufmerksamkeit
eines Kindes erregt. Daraus schließe ich, daß eine Ge-
wöhnung an Gutes oder Schlechtes auch schon beim Kinde
vorhanden ist. — Kinder aber, die in schönheitsvoller
Umgebung, unter den Augen schönheitempfindender Eltern
aufwachsen, brauchen wir nicht mehr anzuleiten, wir
müssen vielmehr den heutigen Verhältnissen entsprechend
damit rechnen, daß unsere Schüler zum größten Teil in
diesen Dingen gleichgültig oder verbildet sind. Da hat
nun die Schule eine dankenswerte Aufgabe zu lösen,
dankenswerter als die Bestrebungen, die dahin zielen, Er-
wachsene zum künstlerischen Empfinden anzuleiten. Je
länger die Gewöhnung an eine unkünstlerische Umgebung
ist, um so sicherer ist sie auch, außerdem werden sich bei
solchen Kursen, ähnlich wie bei der Jugendpflege, die
außerhalb des Unterrichts getrieben wird, in der Haupt-
sache Leute zusammenfinden, die es gerade nicht am
nötigsten haben. In den allgemein bildenden Schulen wird
in erster Linie der Zeichenunterricht berufen sein, die
Schüler geschmacklich zu fördern. Durch richtiges Zeichnen
an sich kann dieses Ziel aber nicht erreicht werden; es ist
erstens nötig, daß Gegenstände gezeichnet werden, die
bezüglich Material, Zweckmäßigkeit, Technik und Form
einwandfrei sind, und zweitens ist es erforderlich, daß der
Schüler, bevor er zeichnet, die guten Eigenschaften erkennt.
Nun ist aber leider die Mehrzahl der Lehrer, auch der
Zeichenlehrer, geschmacklich selbst nicht genügend gebildet,
wie die Tatsache lehrt, daß in ihren Wohnungen künstliche
Blumen und billige Bazarwaren keine Seltenheit sind.
Wenn aber auch dieser Ubelstand wohl zu beseitigen
wäre, indem auf den Seminarien der Geschmacksbildung
größere Aufmerksamkeit gewidmet würde, so bliebe immer
noch eine große Schwierigkeit darin bestehen, daß sowohl
Lehrern wie Schülern die Verbindung mit irgend einer
praktischen Tätigkeit fehlt, die durch den Handfertigkeits-
unterricht nur notdürftig erzielt wird. Dieser Nachteil fällt

nun in der beruflich organisierten Pflichtfortbildungsschule
fort und das ist ein Hauptgrund, weshalb sie in erster
Linie zur Geschmacksbildung der mittleren und unteren
Volksschichten berufen ist. □
□ In der Fortbildungsschule steht der praktisch ausgebildete
Lehrer vor Schülern, die einem Beruf oder wenigstens
derselben Berufsgruppe angehören. Der Beruf ist aber
das Fundament, in dem die Interessen des Schülers ver-
ankert sind und wir können auf Erfolg rechnen, wenn es
uns gelingt, ein Thema zu ihm in Verbindung zu setzen.
Diese Verbindung ergibt sich in der Geschmacksbildung
von selbst, ja, sie muß im allgemeinen wie im einzelnen
von der praktischen Tätigkeit des Schülers ausgehen. Wir
haben nun in der Fortbildungsschule einen Unterschied
darin zu machen, ob es sich um die Geschmacksbildung
von Produzenten oder Konsumenten handelt. In den
kunsthandwerklichen Klassen werden wir zunächst an
Produzenten denken (die ja freilich auch Konsumenten
sind) und das Ziel verfolgen, die Schüler dahin zu erziehen,
daß sie dereinst anständige, soll heißen praktische und
materialgerechte Arbeit liefern. In den anderen Klassen
haben wir es lediglich mit späteren Konsumenten zu tun,
und es ist uns die Aufgabe gestellt, den unsicheren und
schlechten Geschmack zum sicheren und guten zu wandeln,
damit sie Schundware und Qualitätsarbeit unterscheiden
lernen. Über dieses Verständnis hinaus wäre in allen
Schülern die Freude am Schönen und Guten zu wecken. —
Wie sind nun diese hochgesteckten Ziele zu erreichen?
Zunächst gilt auch hier der Goethesche Satz: »Was der
Mensch leisten soll, muß sich als ein zweites Selbst von
ihm ablösen, und wie könnte das möglich sein, wäre sein
erstes Selbst nicht ganz davon durchdrungen«. Ein Lehrer,
der die Schüler zum Guten erziehen will, muß selbst ein
anständiger Mensch sein, und wer ihren Geschmack bilden
will, muß die Schönheit und den Adel ehrlicher Arbeit
erst selbst erleben; überdies muß er Vertrauen zu seinem
Wollen und Liebe zu seinen Schülern haben. Was nun
die Methode selbst betrifft, so ist sie Empfindungssache
und muß sich außerdem nach den gegebenen Verhältnissen
richten, methodische Regeln würden diesen Belehrungen
die unbedingt notwendige Frische und Anpassung nehmen.
Ich habe als Motto über meinen Unterricht in der Ge-
schmacksbildung gesetzt: »Vom Nützlichen durchs Wahre
zum Schönen«. Daß eine Arbeit zweckmäßig sein muß,
versteht jeder Schüler, daß weiterhin die Forderung auf-
gestellt wird, es soll kein Material vorgetäuscht werden
und die Technik muß sich aus der Aufgabe selbst ergeben,
ist ihm auch verständlich. Eine viel schwierigere Sache
ist es dann für ihn, zu beurteilen, ob ein Gegenstand schön
ist oder nicht, aber er ist für diese Aufgabe nun doch
schon vorbereitet. Bezüglich des Schönen halte ich es
nun für unbedingt notwendig, den Schülern bestimmte
Grundlagen zu geben und so werden nacheinander folgende
Gesetze besprochen: die Teilung der Fläche (der goldene
Schnitt), der Wechsel, die Einheit in der Vielheit, das
organische Wachstum und der Rhythmus. Es schließen
sich dann weiterhin Belehrungen über Farbwirkung und
Farbenharmonie an und eine kurzgefaßte Stillehre, die
lediglich den Zweck verfolgt, die charakteristischsten Merk-
male erkennen zu lassen und einen allgemeinen Überblick
über Zeitgeschmack und Stilwandlungen zu geben. Für
diese Belehrungen, Unterhaltungen möchte ich lieber sagen,
steht mir natürlich ein reichhaltiges Anschauungsmaterial
an Photographien und sonstigen Reproduktionen zur Ver-
fügung, das durch Natur- und Kunstgegenstände (diese in
Vorbildern und Gegenbeispielen) noch ergänzt wird. Durch
Skizzieren und sonstige praktische Übungen wird dieser
Unterricht unterstützt. Was oft als der Mittelpunkt der
 
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