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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Schur, Ernst: Impressionismus und Raumkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0119

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IMPRESSIONISMUS UND RAUMKUNST

Zweige das Licht fällt, das in breiten Tupfen auf dem
Kleid liegt. Eine lebhaft zusammenklingende Harmonie in
Weiß und Grün. Und so gibt es hier eine ganze Reihe
junger Künstler, die alle in der gleichen Art arbeiten, so
daß ein Saal der Schweizer immer einen besonders frischen,
dekorativen Eindruck macht. □
□ Noch ein anderes Land von gleichfalls vorwiegend stil-
bildendem Charakter kommt hier in Betracht: Norwegen.
Edv. Munchs Arbeiten ist dieser neue Charakter einer
modernen Monumentalität eigen. Es sind die Bilder, die
aus dem Rahmen des sonst Üblichen herausfallen, die aber
gerade in ihrer Seltsamkeit ein Neues zeigen. Allerdings
vollzieht sich hier die Entwicklung in anderen Bahnen. Es
drängt sich entscheidend der Einfluß der alten, nordischen
Kunstübungen, mit ihrem vorwiegend ornamental-dekora-
tiven Charakter hinein und gibt mit dem Modern-Französi-
schen der Technik einen besonderen Klang. Dieser
nordische Charakter modifiziert die Erscheinung, verändert
sie aber im Wesentlichen nicht. Auch muß man hier in
Betracht ziehen, daß das Neue in Munch sich nicht so
robust und sicher durchsetzt. Der Charakter dieses Künst-
lers, problematisch, Einflüssen nachgebend, tastend, unsicher,
nervös, ändert die Art. ln Munch verquickt sich das Sub-
jektive stark mit dem Allgemeinen. Darum sind seine
Werke oft unentschieden, bleiben in den Ansätzen stecken,
über die der ungeduldige Zuschauer lacht oder sich ent-
rüstet, und zeigen nur dem überschauenden Betrachter die
Möglichkeiten. Munchs dekorative Note ist farbig, geht
von der Farbe aus. Seine Bilder könnten oft Glasfenster
sein. Sie erinnern in ihrer primitiven Manier an die
nordische Ornamentik, die noch mit halb mythischen Er-
innerungen rechnet. Munch abstrahiert nicht vom Ein-
druck, der Zufall bleibt; es mangelt an Intellekt. Seine
endgültige Niederschrift ist ein Resümee, doch ein Resümee
des Temperaments. Seine wie Puppen dastehenden
Menschen, seine Porträts, deren Starrheit an die primitiven
und zugleich raffinierten, dekorativen Malereien der Natur-
völker erinnert, zeigen ebensosehr verzweifelnde Ohnmacht,
wie einen hoffnungsreichen Anfang. Eine Ohnmacht aus
dem Drang heraus, Neues mit Notwendigkeit zu gestalten.
Weshalb wohl malt Munch so rücksichtslos, so wild
elementar? Es ist elementares Wollen in ihm. Denn man
vergleiche seine nervös zupackende Art mit denen der
Franzosen, die gleichfalls auf ihre Art zum Dekorativen
hinstreben, die es aber zum Teil mit müder Gebärde, zum
Teil mit wacher Bewußtheit tun, und deren Primitivismus
ein überlegter Versuch, ein Mittel, zu entdecken, bleibt.
Munchs Primitivismus ist urelementar, und selbst in seinen
schwächsten Momenten reagiert er noch mit der Zähigkeit
eines Nordländers, der nicht tüftelt, sondern schafft. o
□ Von besonderem Wert sind seine Landschaften. Da
verschmilzt er das Dekorative am besten mit dem momen-
tanen Eindruck, ln breiten Flächen, schwungvoll hin-
geschrieben, ersteht das Motiv, mit dem markigen
Charakter des Monumentalen. Wenn er etwa ein Bild
»Dorf im Schnee« mit einer Kindergruppe im Mittel-
grund malt, die sich schwarz abhebt von dem weißen
Grund der verschneiten Umgebung; das Ganze wirkt wie
ausgeschnitten. Munch hat neben der prägnanten Linie
eine besondere ausgesprochene Vorliebe für eine ihm
eigene Skala von Farben, auf die er immer wieder das
Motiv zurückführt: Weiß, Schwarz und Braunrot. Mit diesen
Farben setzt er flächenartig den Bildeindruck zusammen. □
□ Die Franzosen, die wir oben erwähnten, bieten gerade
für diese Frage reiches Material, und selbst da, wo ihre
Leistungen ungleich sind, wo sie meinetwegen erklügelt
sind, etwas Gewolltes, Absichtliches haben, wo sie trotz
dieser Überlegenheit, die ihren Schöpfungen anhaftet, nicht

dazu kommen, den Eindruck zum Ende zu führen, sind sie
interessant in der Kühnheit des Experimentswillen. Sie
geben womöglich die Zeit ihrer Studien an: morgens um
3 Uhr, um 4 Uhr, um 5 Uhr. Gerade diese Unterschiede
im Licht sind aber dann oft doch nicht markant heraus-
gearbeitet, die Effekte mögen treu sein, sie sind nicht zur
künstlerischen Klarheit gebracht. Und das zeigt zugleich
an, daß diese Künstler sich nicht so genau des dekorativen
Moments bewußt sind; sie bleiben im Skizzierhaften stecken,
sie streben dahin, ihren Bildern den dokumentarischen
Charakter einer gewissenhaften Momentstudie zu erhalten.
Sie mögen darin, nach anderer Richtung, bahnbrechend
gewirkt haben, sie sind die Pfadfinder, aber sie sind sich
nicht bewußt, daß in diesen Skizzen etwas Neues liegt,
das noch zur Entwicklung kommen will. Naive Freude an
der Erscheinung au sich und auch ein Teil Pedanterie
wirken mit, sie auf diesem Punkt verharren zu lassen. Ihre
Arbeiten sind mit Absicht auf diesem Niveau erhalten,
skizzenhaft schnell, wie eine Notiz. Man kann gewisser-
maßen diese Studien als Mittelstadium zwischen Impression
und Dekoration auffassen. Eine feine Empfindung spricht
sich sensibel darin aus. Zuweilen verrät sich eine festere
Handschrift. Bewußtere Übung drängt zum Pointillismus.
Dadurch kommt etwas Straffes, Großzügiges hinein. Aber
auch hier ist es so: Der Pointillismus ist nur eine neue
Manier, auf das Bild angewendet, das Gestaltende, Deko-
rative ist nicht markant herausgearbeitet. Daher tritt der
Wert der in dieser Weise und mit dieser Absicht gehand-
habten Technik am besten in Erscheinung in kleineren
Arbeiten, wo der Künstler fast unbewußt dieser neuen
Technik folgt. Namentlich kleine Aktstudien von Ryssel-
berghe (dessen dekorative Entwürfe sonst etwas Gequältes
haben) haben Temperament in der Beobachtung und der
Technik. Dabei tritt, als Folge der Unklarheit, oft etwas
Absichtliches, Unlogisches zutage. Man möchte alles
Mögliche verschmelzen, versucht hier und da. Neben dem
Pointillismus huldigt man noch dem Primitivismus. Diese
ausgeklügelte Mischung macht keinen glücklichen Eindruck.
Dabei läßt man sich dann Inkonsequenzen zu Schulden
kommen. Man kann sich nicht vom üblichen Bild trennen.
Und so stehen neben pointillistischen Stellen zeichnerisch
genau ausgeführte Partien. Das Bild alten Stils sieht
hindurch, die Technik ist nur äußerlich verwandt, es ist
keine organische, notwendige Schöpfung. Daß aber der
rein impressionistischen Art auch dekorative Momente inne-
wohnen, zeigen jüngere Künstler, wie Vaillard und Bonnard,
deren umfangreiche Dekorationsbilder einen eigenen Cha-
rakter haben. Vaillards Entwürfe wirken wie Gobelins.
Die dunkleren Farbenmassen vor hellem Hintergrund, der
alles leicht auflöst und scheinbare Perspektive in wirklichem
Raum gibt, wirken etwa wie die lichtdurchschossenen
Wandteppiche früherer Zeiten. Die leichte Undeutlichkeit
der Konturen unterstützt die Illusion. In der Art der
Komposition läßt sich japanischer Einfluß erkennen;
scheinbar ohne Zusammenhang sind die einzelnen Figuren
— es ist etwa eine Gartenszene dargestellt — in die Land-
schaft gesetzt, ohne daß Überleitungen von einem zum
andern hinführen. Die matte Tötung auf Weiß und Rot-
braun, die diskrete Art, wie der Vorgang sich undeutlich
verhält und dennoch zu erkennen ist, wie das Motiv sich
verdeutlicht und doch der farbige Eindruck genügt, den
Beschauer zufrieden zu stellen, diese ganze lockere, auf-
lösende Manier, die den Raum gibt und dennoch den
Flächeninhalt wahrt, hat etwas Leichtes, Graziöses. a
□ Denselben spezifisch französischen Charakter zeigen die
Wandbilder von Bonnard. Sie wirken momentaner. Das
erreicht der Künstler durch die mattgriine, gleichmäßige
Tönung des Hintergrundes, von dem sich die in dunklerem
 
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