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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Kunstgwerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0203
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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

1 C\f\
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ab, der dem Gebäude eine für Gesamtwirkung besonders
wichtige Krönung gibt. Die Rückseite, die um einige
Stockwerke niederer ist, gab zumAusgleich derverschiedenen
Höhen das Motiv zu einer reichen Dachgruppierung, in
der die strengen Formen der Geschosse ungesucht in
eine malerische Wirkung ausklingen. k. Widmer.
□ Berolina. Das Stadion und der Schillerpark sind Archi-
tekturen, denen die Masse, das vielköpfige Volk, Bauherr
und Maßstab war. Damit ist von vornherein gesichert,
daß die Urheber dieser beiden Werke, der verstorbene
Otto March und der hoffnungsvolle Gartenarchitekt Bauer
aus Magdeburg, prinzipiell moderne Bauwerke aufrichteten.
Die neue Form kam nie aus dem Gehirn eines Einzelnen,
der nicht zugleich Beauftragter eines neuen Gesellschafts-
komplexes gewesen wäre. Alle klassische Architektur
wurzelt in bestimmten Machtschichten und ist der Ausdruck,
der klarste und konzentrierteste, für das eigentliche Wesen
bestimmter wirtschaftlich, politisch und kulturell zusammen-
gehörender Gruppen. So hatten die Pharaonen ihre Pyra-
miden, so schuf der Papst den Petersdom. Als die Bürger
der mittelalterlichen Städte erstanden und sich organi-
sierten, bekamen sie sofort ihre Rathäuser und Marktplätze.
Noch immer wurde denen, die zur Herrschaft kamen, der
Architekt geboren. Meist war es dann noch so, daß zu-
gleich ein neues Baumaterial mit neuen technischen Mög-
lichkeiten zur Hand war. Der neue Stil entstand dann
durch ein Ineinanderwirken des neuen Weltgefühls, des
neuen Machtempfindens und des neuen Konstruktions-
prinzipes. So wollen Architekturen wie die des Stadions
und des Schillerparkes angeschaut und begriffen sein. Sie
sind Gefäße für ungezählte Scharen; erst durch deren
Hineinströmen bekommen sie das eigentliche Leben. Sie
wären nicht denkbar und wären nie erdacht worden, wenn
eben nicht die Konzentration ungeheurer Menschenmassen,
wie die Großstadt sie darstellt, sie gefordert hätte. o
□ Das Stadion soll dem Sport und dem Spiel dienen.
March hat es inmitten der von ihm geschaffenen Grune-
wald-Rennbahn angelegt. Damit die Übersicht über die
Bahn in keiner Weise gehindert werde, wurde das ge-
waltige Oval des Zirkus so weit versenkt, daß selbst die
Dächer der Tribünen nicht über das Niveau des Geläufes
emporragen. Die gesamte Anlage wurde aus Eisenbeton
konstruiert. Das neue Material gehorchte der neuen Auf-
gabe. Der Eisenbeton trägt die Forderung zur groß-
zügigen Einfachheit in sich geborgen; man kann mit ihm
nicht spielen. So half der Beton dazu, die Architektur
dieser Rahmung für Zehntausende als ein Abstraktum ge-
stalten. Daß dabei antikische Elemente zur Anwendung
kamen, ist fast nebensächlich. Das Entscheidende bleibt
die Tatsache, daß die gigantischen Reifen der Tribünen
auf einem Minimum von Stützen ruhen, und daß auch
sonst ungewöhnliche Spannungen mit Selbstverständlichkeit
überwunden und zwanglos zu monumentalen Wirkungen
gesteigert wurden. Dies geschah besonders an der Zu-
gangsstraße, die von dem Niveau der Rennbahn abwärts
leitet. o
□ Der Schillerpark soll zur Lüftung des im Norden Berlins
wohnenden Proletariats dienen. Er ist das offenbare Er-
gebnis einer demokratischen Stadtpolitik; er ist die erste
reife Frucht der öffentlichen Diskussionen über die Pro-
bleme des modernen Städtebaus. Man kann ihm mit gutem
Recht einen Ertrag der Berliner Städtebauausstellung, einen
reellen Erfolg der durch Hegemann und Muthesius durch
Eberstadt und Kuczinski geleisteten Propaganda nennen.
Es ist ein Wohnpark geschaffen worden in striktem Gegen-
satz zum Tiergarten etwa. Im Tiergarten geht man
spazieren; im Schillerpark lebt man, als wäre diese Griin-

bildung eine erweiterte Wohnung. Die Wiesen dürfen
betreten werden; die Wege buchten sich in schneller Folge
zu kleineren Spielplätzen. Wir treffen die aus Amerika
bekannte Planschwiese und sehen auch sonst alles für-
sorglich auf die Bedienung von Massen, die sich erholen
wollen, eingerichtet. Nicht der Kanal charakterisiert diesen
Park, sondern der Raum, ein Raum unendlich größer als
je ein Saal oder ein Dom es bisher war. Auch das Boll-
werk, das eine der natürlichen Anhöhen nutzend, als
Zentrum des Parkes aus Kalksteinen geschichtet worden
ist, wurde aus der Psychologie der Masse geboren; in
mächtigen Lagen steigt eine doppelte Terrasse aufwärts
und weitet sich zu einer bedeutsamen Plattform. Das
Ganze hegt wie ein gigantischer Block, gegen den brandende
Wellen anstürmen können. Oben stehen Bäume; wenn
die einst groß und vollkommen belaubt sind, werden hier
oben die Alten den Schatten suchen, während unten, im
weitgedehnten Kreis die Jugend spielt. □
o Am gleichen Tage, an dem dieser Schillerpark sich
öffnete, bekam Berlin eine zweite gärtnerische Anlage
überwiesen, den Märchenbrunnen. Ludwig Hoffmann hat
diese Anlage geschaffen; die Bildhauer Rauch, Taschner
und Wrba haben ihm dabei geholfen. Man kann sich
nicht leicht eine reizvollere und amüsantere Bevölkerung
des Grüns vorstellen; das lustige Puppengesindel, das ge-
heimnisvoll im Gebüsch lauert oder keck auf dem Brunnen-
rand steht, gehört zu dem Lustigsten, was die barocke
Plastik hervorgebracht hat. Der Märchenbrunnen ist eine
Schöpfung recht nach dem Herzen der Kinder, er ist zu-
gleich ein Ergebnis künstlerisch bewegter Liebenswürdig-
keit; aber er gehört eben doch letzten Sinnes dem Barock,
der Architektur der Fürsten. Er ist ein Spätling, eine
sentimentale Abwandlung des Pompösen. Wir sind seinen
Schöpfern dankbar, wir heben ihr Werk; aber wir dürfen
doch nicht vergessen, daß es eine Konzession und eine
Übersetzung ist, und daß es nicht ein natürliches Ergebnis
der die Gegenwart bedeutenden Mächte genannt werden
darf. □
o Und gleichfalls dem Barock gehört die Idee einer Fest-
dekoration zu Ehren des Kaiserlichen Jubiläums. Es konnte
diese Angelegenheit, die vor hundert Jahren vielleicht noch
natürlich und notwendig gewesen wäre, in den Tagen der
Demokratie nur ein Nachleuchten und Reflektieren werden.
Und dies um so mehr, als sie in Berlin, in einer Stadt der
Nüchternheit, vor sich gehen sollte. Berlin hat keinen
Karneval; Berlin konnte darum auch nicht die Romantik
einer Festdekoration zu Ehren des Königs erübrigen. Damit
war von vornherein ein überwältigendes Gelingen ausge-
schlossen; auch die Teilnahme von acht Künstlern ver-
mochte an dieser metaphysischen Bedingtheit nichts zu
ändern. Alles in allem wurde die Ausschmückung um
weniges besser, als sie geworden wäre, wenn man wie
früher die Tapezierer losgelassen hätte. An einigen Stellen,
so in der Friedrichstraße, so vor dem Brandenburger Tor
(das Tor selbst ausgenommen) und auf dem Pariser Platz,
ist sie nicht einmal viel besser geraten. Trotz der Künstler.
Erfreulicher war die Königgrätzerstraße; sie gehorchte
einem netten Einfall des Architekten Friedmann: blaue
Schleifen und Bänder, dazu Kästen mit weißen Blumen
halfen ein einheitliches Bild leisten. Am besten darf (nach
der endgültigen Fertigstellung) der Platz vor der Uni-
versität genannt werden; er war durch Heinrich Straumer
geschmückt worden. Die purpurne Farbe der Fahnen und
der die Architektur des ehrwürdigen Baues betonenden
Verbrämungen war die einzig anständige und erregend
wirkende, die (das Blau Friedmanns ausgenommen) inner-
halb dieser festlichen Dekoration zur Anwendung ge-
kommen ist. Breuer.
 
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