Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Wallerstein, Victor: Anfänge einer neuen Architektur und Raumkunst in Prag
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0233

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
226

NEUE ARCHITEKTUR UND RAUMKUNST IN PRAG


der Architektur, ist nur natürlich. Wir sehen auch
hier von aller sogenannten »Zweckmäßigkeit« ab-
weichen und den Gesetzen der Statik widersprechen,
ja, mir sagte Gocär wörtlich: »wir wollen nicht
Zweckmäßiges herstellen, wir erfinden Kfinstdinge\
das Zweckmäßige herzustellen, überlassen wir den
Epigonen«. Und
tatsächlich ist in
Prag kürzlich ein
Bau entstanden,
wo in diesem Sinne
die auf dem hohen
Niveau stehenden
Prinzipien unserer
Künstler zu Tal
getragen werden.
□ Auch die Möbel-
kunst zeigt heute
schon eine Ent-
wicklung. Von
Kotera und der
Wagnerschule ist
sie ausgegangen
und hat nun an-
gefangen, den fein
geschwungenen,
nur nach dem
Zweck und dem
Struktiven hin ten-
dierenden, sehr ge-
schmackvollen
Wiener Stil nach
den neuen Ge-
setzen umzugestal-
ten. Die rein zeich-
nerisch oder male-
rischempfundenen
Formen erfuhren
eine Wandlung ins
Plastische. Sofa-
lehne und -Arme
wurden zu schwe-
ren, fast klobigen
Rhomben und Pris-
men, die Stuhl-
rückenzuT rapezen
mit der breiten, la-
stenden Seite nach
oben, so daß auch
dadertragendeTeil
der leichter gebil-
dete wurde. Diese
Verschiebung des Schwerpunktes, oder besser, die
Unabhängigkeit von ihm, wird auch hier ein wesent-
liches Charakteristikum des neuen Stils. (Siehe Ab-
bildungen im »Styl«, Prag, herausgegeben vom Verein
Manes, Jahrg. 111, Heft 1.) Die erste Stufe der Ent-
wicklung zeigt verhältnismäßig einfache stereometrische
Gebilde, wie Würfel, Rhomben, Prismen; immer
weiter bildete sich das System durch Zusammen-
setzung von diesen primären Körpern mit dem deut-

J. Gocär

liehen Streben nach einem möglichst bewegten d. h.
gebrochenen Umriß. Von jedem Blickpunkt aus
sollten diese scharf geschnittenen und hart aneinander
stoßenden Flächen zu sehen sein, und immer den
Eindruck des Vollplastischen, Kubischen vermitteln
(s. Abb. unten). Erst in der letzten Phase mildern
sich die Tenden-
zen insofern, als
der Umriß ruhiger
wird und die
Illusion des Plasti-
schen für die wirk-
liche Plastik ein-
tritt. Durch die
Maserung, Aus-
wahl der Farbtöne
wird eine Plastik
vorgetäuscht. So
wie die neueste
Malerei keine Flä-
che ruhig stehen
und wirken läßt
und alles nach
einem gewissen
Rhythmus in Drei-
ecke, Trapeze und
Winkel aufteilt, so
werden auch hier
die Flächen analog
und entsprechend
dem Material be-
handelt, um da-
durch künstlich die
Plastik zu berei-
chern und dem
einfallenden Lichte
Hindernisse zu
stellen. d
d Wir sehen, es
schließt sich der
Kreis, das System
ist einheitlich und
zielbewußt ausge-
bildet. Und wenn
wir gleich zu An-
fang die Charak-
teristik vorweg-
genommen haben,
so finden wir sie
jetzt nur bestätigt
in der Zeitschrift
»Umelecky Mesfc-
m'k«*), die diese junge Richtung sich geschaffen hat, und
dort nicht etwa nur in den Theorien, die in einer uns
leider nicht zugänglichen Sprache aufgestellt werden,
sondern auch in der Auswahl von Werken vergangener
Epochen, die man ihrer Verwandtschaft wegen reprodu-
ziert. So stark und überzeugt die neue Richtung auftritt,

Glasschrank

*) Der Zeitschrift Umelecky Mesicnik sind die meisten
der vorliegenden Abbildungen entnommen. Red.
 
Annotationen