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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Meier, Burkhard: Kunstgewerbe der Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0243
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die Tätigkeit Professor Czeschkas nach Hamburg verpflanzt
ist. Dort entsteht nun durch Weiterentwicklung, an der
die Damen Niemer ihren beträchtlichen Anteil haben ein
neuer Stil, der vielleicht dermaleinst in der Geschichte des
modernen Kunstgewerbes gebührend vermerkt werden wird.
Von der Vielseitigkeit der Niemerschen Arbeiten gibt
einen Begriff ein Kinderkleidchen mit Haube in bunter
Seidenstickerei, eine vornehme Theaterhaube, schwarze Seide
mit sparsamer Stickerei in Gold, gelb und weiß, ein roh-
seidenes Kissen und eine prächtige gestickte Tischdecke
mit ausgesparten Kreisen, die mit feiner Nadelspitze ge-
füllt sind, zusammengestellt sind. Bemerkenswert ist das
Temperament, daß sich in all diesen Gegenständen, beson-
ders in den Farben, ausspricht; während manches fein ab-
gewogen erscheint, tragen andere Sachen eine gewisse
Kühnheit zur Schau, die vor den kräftigsten Wirkungen
nicht zurückscheut, ohne eigentlich jemals daneben zu hauen.
Die unten wiedergebene Stola, von Paula Niemer in
Gold und Grün gestickt, fand besondere Beachtung; sie
wird hoffentlich ihre Wirkung auf die hier geübte unend-
lich trostlose Paramentenstickerei nicht verfehlen und all
denen, die glauben, daß nur in Nachahmung alter Muster
etwas Kirchlich-Würdiges geschaffen werden könnte — und
so denken hier alle maßgebenden Instanzen, — eine Mah-
nung sein, ihre veralteten Anschauungen zu revidieren. Diese
farbig wie zeichnerisch gleich moderne Stola kann sich an
Würde und Feierlichkeit mit jeder alten Stola messen.
Wir sahen Arbeiten von Frau Irene Eucketi in Jena,
der Gattin des
Philosophen,
die sich seit
langenjahren
mit der An-
fertigung
künstlerischer
Frauenkleid-

ung befaßt; finanziell unabhängig braucht sie nicht die erste Rücksicht
auf die Verkäuflichkeit ihrer Arbeiten zu nehmen und kann diese daher
ganz ihren Neigungen entsprechend als Luxusartikel herstellen. Die Technik
ist reine Maschinenarbeit, die in ganz außerordentlicher Weise ausgenutzt
ist; es erscheint fast unbegreiflich, daß diese ganz frei gesponnenen, netz-
artigen und spiraligen Muster Produkte der Nähmaschine sind. Neben den
abgebildeten Schals, einem Fächer und einer Blusenjacke waren auch
Tuniken und ganze Kostüme zu sehen, alle ausgezeichnet durch eigenartige
Ornamente und Farben, wie sie nur ein ganz erlesener und kultivierter Ge-
schmack zu erfinden und zusammenzustellen vermag; sie enthalten eine
so starke Note ausgeprägt persönlichen Künstlertums, daß man sich eigent-
lich nur Damen wahlverwandten Geistes als Träger dieser Dinge denken
kann, die ähnlich wie Frau Eucken selbst in einer über den Alltag erhobenen
Sphäre geistiger Freiheit sich bewegen.
Zum Schluß sei die Bekanntschaft mit einem jungen, kräftig auf-
strebenden Talent vermittelt, der in München wirkenden Elisabeth von Sydow,
gleich den beiden Niemers durch verwandtschaftliche Beziehungen mit
Münster verknüpft. Ihre Arbeiten brachten der Ausstellung eine will-
kommene Erweiterung in die Grenzgebiete der reinen und der ange-
wandten Kunst. Als das Beste wird hier ein leider nicht zur Ausführung
gelangter Plakatentwurf gegeben, der, von speziell neumünchnerischer
Haltung, mit den besten Münchener Plakaten konkurrieren kann. Es ist
ein Plakat, wie es sein soll, auffällig und fesselnd, ein Ziel, das durch rein
künstlerische Mittel erreicht ist; es ist kräftig und einfach in Zeichnung
und Farbe, und vorzüglich ist die pointiert witzige Behandlung dieser
Cafehausmenschen gelungen.

Neben den hier erwähnten Arbeiten, welche die eigentlichen Träger
des hohen Niveaus dieser Ausstellung waren, gab es natürlich eine Menge
anderes zu sehen, tüchtige, gediegene Sachen und eigentlich nichts von
schlechtem oder auch nur mittelmäßigem Geschmack, immerhin erübrigt
sich hier die Nennung weiterer Namen. B M

Stola in weißer Seide mit reicher Gold- und:J
Seidenstickerei. Ausgeführt in der Klasse .
Paula Niemer-Drolshagen in der Gewerbe-
schule für Mädchen in Hamburg. Entwurf
Paula Niemer-Drolshagen

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