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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Reinstein, Hans Günther: Schule und Praxis im Kunstgewerbe
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Hellwag, Fritz: Ästhetik und Reklame: aus einem Referat, gehalten im Reklame-Ausschuss des Ältesten-Kollegiums der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0058
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Was wird nun aus diesen Werkzeugen, wenn sie den
Händen ihres Lehrers entführt, hier dem Handwerk, dort
der Industrie dienen sollen?

Sehen wir uns ihre Leistungen nach Jahren wieder an.
Wie wenige haben einen Meister gefunden, der sie zu leiten
versteht. Viele sind schon nach den ersten Versuchen sich
zu betätigen, verdorben worden durch falsche Verwendung.
Die besten wie die schlechtesten dienen einem plumpen
Rezept, das äußerliche Modeanschauungen diktiert haben.
Von Formensprache und Ausdrucksvermögen unserer Kultur
merkt man nichts mehr.

Ein Reisender berichtet: »Ein Muster der Konkurrenz-
firma X. gefällt hier außerornentlich und wird rasend ge-
kauft. Es ist ein Stiefmütterchen modernisiert in grau und
blau.« Durchs Telephon gelangt die Nachricht ins »Zeichen-
büro«. Dort werden sofort Stiefmütterchen in grau und blau
kultiviert. Davon erfährt eine Konkurrenzfirma. Auch dort
kultiviert der Zeichner sofort Stiefmütterchen in grau und
blau. Stiefmütterchen in grau und blau —: die große Mode.

So gehts in der Industrie, ganz ähnlich gehts auch im
Handwerk, und der arme Zeichner darf nur noch in seltenen
Feierstunden seiner Studienzeit gedenken, in der er als
Werkzeug eines Meisters zu den besten Leistungen geführt
wurde. Im Beruf wird er bald von dem, bald von jenem
unverstanden in Anspruch genommen, und wer die viel-
seitigste Verwendungsweise zuläßt, gilt als der Leistungs-
fähigste. Die höchsten Leistungen sind ja auch relativ
wertlos, wenn das Verständnis für sie fehlt. —

Es ist daher Pflicht der Schulen, nicht nur Schüler zu
erziehen, sondern auch das Verständnis für deren Leistungen
nach besten Kräften zu fördern. Handwerksmeister, Fabri-
kanten und Kaufleute müssen gebildet werden, die den
Wert fähiger Schüler richtig erkennen, schätzen und zu
verwenden verstehen. Wie kann das geschehen?

Vor allem sollen die Schülerarbeiten nicht brach in den
Schränken liegen und nur alle drei oder vier Jahre in großen
Massen und nur auf kurze Zeit das Licht der Welt erblicken,
sondern sie sollen ständig allen Interessenten und möglichst,
durch Vorträge erläutert, vorgeführt werden.

Besonders sind Konkurrenzarbeiten der Schüler, die
ein Thema in verschiedenen Lösungen zeigen, hierzu vor-
züglich geeignet. Eine Besprechung solcher Arbeiten so-

wohl von einem Lehrer, als auch einem Manne der Praxis
dürfte für alle Teile von großem Nutzen sein. Die Erfolge
der Meisterkurse haben bewiesen, daß der Handwerker,
und ebenso wohl auch der technisch gebildete Fabrikant
leicht in das Wesen moderner Formen einzuführen sind.

Viel schwieriger dagegen wird es sein, den Kaufmann
für logisch von innen heraus entwickelte Gestaltungen zu
interessieren. Der Kaufmann ist zu sehr gewöhnt, den
reellen Wert der Ware von der Aufmachung getrennt zu
kalkulieren. Er liebt es, den äußeren Eindruck, die Form-
gebung möglichst unabhängig vom inneren Wert des Ma-
terials zu gestalten. Er sträubt sich dagegen, daß eine
vollendete Formgebung nicht nur ein Gewand, sondern ein
Gesichtsausdruck, eine Physiognomie der Ware ist, die aus
inneren Notwendigkeiten heraus entstanden, den wahren
Charakter offenbart. Er fühlt sich in seiner Bewegungs-
freiheit eingeschränkt und vergißt, daß eben durch die Physio-
gnomie des Erzeugnisses dieses auch seinen Charakter als
Qualitätsware am besten bekundet. Es wird vor Plagiaten
und billigen Nachahmungen besser geschützt durch seine
gediegene Form oder Packung, als durch Gesetz und Re-
klamemarke.

Auch hier stehen der Schule Mittel und Wege zu Ge-
bote, aufzuklären. Durch praktisch gewählte Themata, bei-
spielsweise aus dem Gebiete der Reklamekunst, sollte der
Kaufmann interessiert werden und wenn möglich, zur Mit-
arbeit herangezogen werden. Diese erzieherische Tätigkeit
wird sich je nach Lage der Verhältnisse bald mehr dem
Handwerk, bald mehr der Industrie widmen müssen, manch-
mal einen fortgeschritteneren, oft einen elementaren Lehr-
plan befolgend aufklären und den Schülern den Weg fürs
Leben ebnen. Endlich kann sogar auf das kaufende Pu-
blikum direkt eingewirkt werden, und das allgemeine In-
teresse mehr von den äußerlichen Dingen der Mode auf
die tiefer begründeten Gesetze geschmacklicher Formgebung
gelenkt werden.

Erst dort, wo es gelungen ist, den Boden für höhere
kunstgewerbliche Leistungen empfänglich zu machen, wird
ein junger, begabter Absolvent einer Kunstgewerbeschule
Wurzel fassen können; selbst dann, wenn die ihm gelehrte
Formensprache über dem Niveau der banalen, alltäglichen
Ausdrucksweise steht.

ÄSTHETIK UND REKLAME

AUS EINEM REFERAT, GEHALTEN IM REKLAME-AUSSCHUSS DES ÄLTESTEN-
KOLLEGIUMS DER KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

VON FRITZ HELLWAG

WIR können die Gefühle der Befriedigung, der
Freude, der Erheiterung, der Lust, die den
Begriff der Ästhetik ausmachen, auch von
anderen Ursachen ableiten, als nur von der Kunst.
Sie werden auch von der Natur und von natürlichen
Vorgängen hervorgerufen, wenn auch bisher die
zünftigen Ästheten immer nur von einer Ästhetik der
Kunst etwas wissen wollten. Freilich ist die Kunst,
als die höchste und erhabenste menschliche Betätigung,
stets von ästhetischen Gefühlen begleitet, selbst dann,
wenn sie an sich häßliche Gegenstände darstellt, ja
sie ist ohne diese begleitenden Gefühle verfehlt und

unecht, und nur sie ist befähigt, unsere ästhetischen
Empfindungen bis zum Äußersten zu läutern und zu
verfeinern, ebenso wie sie uns erst das höhere Natur-
verständnis vermittelt. Aber es ist notwendig, fest-
zustellen, daß es auch ohne Kunst eine, allerdings
primitive Ästhetik gibt, denn erst dann werden wir
begreifen, welche bedeutende erzieherische Aufgabe
die Kunst in allen menschlichen Dingen zu er-
füllen hat.

Es hat schon lange, bevor sich die Kunst ihrer
annahm, eine öffentliche Reklame gegeben. Ihre Mittel
waren derb und unkultiviert, aber so grotesk und

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