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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0130
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in jedem deutschen Haus von heutzutage diesen Anstand
fände und auf der Selbstzucht des Kulturniveaus das indi-
viduelle »Kunstgewerbe« zeigen könnte. Es muß nicht all-
zugut um eine Kunstform stehen, die sich durch diesen
Kurs betroffen fühlte und sich ästhetisch angegriffen wähnt,
wo es sich nur um ethische Begriffe handelt. Der eigenen
Kraft heißt es mißtrauen, wann man den Stoß des aufge-
weckten Formgewissens in seinem Typendrang als Schä-
digungen fühlt und in dem »Individuellen« seiner Art sich
durch das Allgemeine vergewaltigt fühlt.

Mit alledem sind keineswegs die Mängel völlig abzu-
leugnen, die in der Durchführung des Warenbuches fürs
erste noch vorhanden sind.

Zunächst einmal die Warenpreise, die viel zu hoch ge-
griffen sind. Es ist dem guten Mittelstand nicht zuzumuten,
Bratpfannen zu beziehen, die vier und einen halben Liter
fassen und 7,80 M. hoch im Preise stehen. Zwei-Liter-
Kaffeekannen zu 2,75 M. sind für jede Durchschnittshaus-
frau kein Geschenk und Steingutblumentöpfe zu 1,20 M.
kann sich der kleine Bürger nicht beziehen. Schon ganz
zu schweigen von den Ziergeschenken, den Broschen, Gläsern,
Dosen und so fort. Hier steigt der Kostenpunkt zu solchen
Höhen, die selbst der Weihnachtsgabenlust zu üppig sind.
Wir wissen wohl: an sich ist es nicht zu meiden, daß der
Entwurf der guten Ware teurer ist. Der Künstler, der die
Durchschnittsform bedenkt, die täglichem Bedarf im ganzen
Reich genügen muß, ist nicht allein der schöpferische Geist,
der den formalen Sinn dem Werke freischaffend gibt. Ihm
müssen die Verbraucherwünsche klar, der Zweck des Gegen-
standes deutlich werden und wo er häusliche Objekte schafft,
muß ihm die Hauswirtschaft geläufig sein, so wie er auch
im Handwerkszeug den Griff des Handwerksmannes wür-
digen muß. Ganz zweifellos wird die Gediegenheit des
Materials, die technische Exaktheit der Ausfertigungs-
methoden, die auf die Unzerstörbarkeit gerichtet sind, die
Kostenbildung gleichfalls stark bestimmen und die Be-
wertung seiner Dauerhaftigkeit den Preis des Gegenstandes
entschuldigen können. Doch liegt in allen diesen Gründen
noch immer die Bestimmung nicht, die Preise unverhältnis-
mäßig aufzutreiben. Sie liegt nicht in der Produktion be-
schlossen, die man als Wert auch gut bezahlen muß: Der
Absatz ist's, der ungenügende Vertrieb, in dem die ganze
Angriffstaktik mündet, die sich um das Problem der Preise
schaart. Hier finden sich die großen Fehler einbeschlossen,
die der Genossenschaft zur Last zu buchen sind.

Denn es erhellt: Die Generalunkosten der Detailge-
schäfte, die einzig mit dem Absätze beauftragt sind, sind
im Verhältnis zu den Warenhäusern und ihrer Art Betriebe
viel zu hoch. Der Detaillist sieht sich gezwungen, aus
jedem Gegenstande den Gewinn zu ziehen, den er bei der
Verteilung seiner Lasten auf jede Einzelware buchen muß.
Das Warenhaus hingegen kann die Kosten teilen: Wo es
den Gegenstand lancieren will, schraubt es für eine Weile
den Gewinn herab und schiebt Verluste anderen Waren
zu. Die können es sehr gut vertragen, so lange sie im
Massenabsatz stehen. Wir kennen wohlbekannte Waren-
häuser, die auf die hier genannte Art dem deutschen Kunst-
gewerbe äußerst nützlich sind. In dem Detailgeschäft dies
durchzuführen, bringt einen Zustand der Gefahr, der, wenn
auch im Prinzip für kurze Zeit erträglich, sich auf die
Dauer niemals halten läßt. Dann aber auch: die Spezial-
geschäfte, die in dem Buche aufgeschrieben sind, sind stadt-
bekannt als teuer. Wir kennen aus dem Augenschein zwar
nur die Läden mancher Städte, so unter anderem in Ber-
lin, in München, Hagen, Nürnberg, in Augsburg, Dresden,
Köln, vermeinen aber auszureichen mit diesen Proben des
Vertriebs. Sie sind zum größten Teil derart gelegen, daß
stets die teure Ladenmiete den Preis der Gegenstände
steigern muß. Dorthin wird nie ein Arbeitsmann sich

wenden können, wo nur die Bourgoisie bezieht. Die
Käufer aber, die sich wirklich mühen, in diesen Läden
Gutes zu erstehen, die sind zum größten Teil geschmack-
lich längst geschult, und wo sie's ohne Wirkung sind, ge-
langt ihr Typ zur Endesmose nicht in Geltung. Denn der Ge-
danke ist wohl längst dahin, daß man durch Bildung unserer
»höheren« Schichten, des reichen Bürgerstandes der Gelehr-
tenwelt, der teils geschmacklich durchgeschulten Adelsschaft,
dem Volk Geschmack beitreiben will, die es Nachahmungs-
gefühlen danken soll. Das gilt nicht mehr! Das Volk als jetzt
noch ungepflegte Masse schafft sich aus eigenstem Bedarf,
von unten stoßend, seinen Stil, und kann Erziehungslehren
nicht vertragen, die es aus zweiter Hand empfangen soll.
Deshalb ist auch die große Rede auf die soziale Pflicht
der Kunsterziehung nicht am Platz, die in dem Warenbuch,
an sich vorzüglich, des Werkes gute Absicht demonstriert.
Das zweite Wort ist hier: »sozial«, ist: Die »Genossen-
schaft«, »Das Volk«, alle Kapitel sind stets dem Ethos
der Bestrebung zugewandt. — Und im Gefolge dieses Manko,
das sich in den genannten Fehlern überhäuft! Das durfte
nicht beharren, nicht bestehen und aller guten Absicht so
zuwider sein. Warum, dies fragt sich beim Betrachten,
hat man nicht Wirtschaftskluge angefragt, die aus Erfahrung
die Kanäle kennen, woraus Geschmack zum Volke fließt?
Wenn wirklich über allem Handel unbeteiligt wachsamen
Auges eine Jury saß, die dem Vertrieb die Wege bahnte, warum
hat sie die Arbeitskreise nicht gefragt, für die sie doch die Ar-
beit tätigen wollte? Gewerkschaftliche Bünde sind genug, die
nach dem Warenanstand suchen, sich hierzu eigene Wege aus-
ersehen! Warum die Sehnsucht dieser Menschenkreise mit
diesem Warenbuch ganz übergehen? - - Wir hoffen, daß
dies besser wird. Es ist durchaus nicht abzusehen, warum
selbst unter dem Bestand der jetzt Beteiligten der Zugang
jener Kreise nicht gelingen soll, die, sei's aus wirtschaft-
lichen Gründen, sei's von dem Standesvorurteil her, der
billigen Massenware nicht entraten können. Nur aus dem
eifersüchtigen Bewahren des Detaillistenmonopols muß
man heraus, muß Warenhäuser einbeziehen und in die
Arbeitsviertel wandern, muß, wenn man wirken will, zum
Volke gehen. Nicht über Kopf und Herzen unserer Messen
hin darf dieser Kampf um Warenanstand sich entfalten,

in dem so viel gute Meinung wirksam ist.

Dr. Bruno Rauecker.

AUSSTELLUNGEN

Zfirich. Textilausstellung. Am 6. Februar 1916 wurde
im Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich eine Textil-
ausstellung eröffnet. Sie umfaßt: Druckstoffe, Spitzen und
Stickereien in Entwurf und Ausführung von B. Baer-Zürich,
J. Bruppacher-Basel, E. Eglin-Basel, A. Frey-Aarau, O. Fröbe-
Zürich, J. Fülscher-Winterthur, P. Hosch-Basel, J. Masarey-
Basel, G. Meyer-Aarau, B. Odermatt-Zürich, Oswald-
Zürich, E. Rinderspacher-München, E. v. Stockar-Castell,
Theiler-Zoller-Winterthur, Trillhaaße-Zürich, H. Utzinger-
Bönigen, Weber-Sulger, Riethäusle-St. Gallen, ferner die
Stickereien des Lehrerinnenkurses von Fr. Berta Baer-Zürich,
sowie alte Schweizer Stickereien aus Museumsbesitz. Als
Ergänzung treten hinzu dekorative Aquarelle vonH.deBoer-
Zürich, moderne Tapeten von H. Bischoff-Rolle, A. Cingria-
Genf, J. L. GampertGenf, M. Naville-Genf und von der
Firma P. A. Dumas-Paris, Keramik von P. Bonifas-Versoix
und eine Kollektion Gläser der Firma Joh. Lötz Wwe.-
Unterreichenstein (Böhmen). — Moderne Kirchengeräte des
Goldschmiedes A. Stockmann-Luzern bilden den Beschluß.

PERSONALIEN

Magdeburg. Kunstgewerbeschule. Den Lehrern, Maler
und Keramiker Fritz v. Heider und Maler und Graphiker
Richard Winckel ist der Titel Professor verliehen worden.

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf-Mitte
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h., in Leipzig
 
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