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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Platen, Max: Die Gold- und Silbersammlung des "Vaterlandsdank": ausgestellt im kgl. Kunstgewerbemuseum in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0216
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Betrachtungen in Frage, die erste Hälfte fehlt. Fehlt
nicht aus äußeren Gründen, nein, die Jahre ent-
behrten den Schmuck, die harte Zeit, die die napo-
leonischen Kriege über Deutschland brachten, ließ
keine Mittel frei, die für die Ausführung und An-
wendung von Schmuck hätten dienen können. Die
harte Not beanspruchte zunächst die Erfüllung zwingen-
der Forderungen des Lebens. Deutschland war so
furchtbar arm geworden und hatte Zeit nötig, wieder
zu Blute zu kommen. Betrachten wir daraufhin die
Kostümbilder der Biedermeierzeit, die zuverlässigsten
Zeugen, die uns hierbei geblieben sind, so sehen wir
kaum die Anwendung irgend eines Schmuckstückes.
Edles Metall war ja auch nicht mehr frei. Um jedoch
dem, wenn auch nur zaghaft auftretenden Schmuck-
bedürfnis zu begegnen, nahm man das Eisen und schuf
hieraus in klassizistischen oder gothisierenden Formen
in wunderbarer Gußtechnik Schmuckstücke. Wenige
Stücke aus solchem Eisenguß sind in unserer Samm-
lung vertreten (Abb. S. 202). Die meisten Stücke
sind wohl später achtlos beiseite gelegt worden, ver-
rostet und zerbrochen. Schade darum, denn sie ver-
dienen rein technisch starke Beachtung. Ähnliche Aus-
führungen würden uns heute, trotz der viel weiter
entwickelten Verhüttung des Eisens, sehr viel Schwierig-
keiten machen.

Noch einen anderen eigenartigen Ersatz suchte
und fand man. Deutsche Frauen hatten ihr reiches
Haar dem Vaterlande geopfert, sich so gerne von
dem schönsten Schmucke des Weibes trennend, nun
fand man Verwendung für dieses Haar und ver-
flocht es kunstvoll zu Ketten, Armbändern, Ringen
usw. Nur die Verschlußstücke waren aus dünn aus-
gewalztem Gold hergestellt, die uns nun heute auch
allein die Möglichkeit bieten, die Stücke zeitlich zu
begrenzen. Diese Flechttechnik fand eine äußerst
reiche Entwicklung und steigerte sich besonders in
der romantischen Periode. Immer wieder wurden
neue Möglichkeiten gefunden, das Haar zu verflechten.
Kaum eine Kette gleicht der andern, ja selbst darüber
hinaus wurden für kleine Medaillons Blumenstücke
aus Haaren zusammengestellt. Heute stehen wir jedoch
diesem Schmucke fremd gegenüber und wir sträuben uns,
schon aus ästhetischen und hygienischen Gründen, uns
mit der Verwendung dieses Schmuckes zu befreunden.

Von England, von wo aus die Befruchtung unseres
kunstgewerblichen Lebens jener Zeit ausging, trotz-
dem ein Schinkel und später Semper sich heiß darum
bemühten, dem deutschen Kunstgewerbe eigene Wege
zu weisen, kam dann etwa um 1850 der dünn aus-
gewalzte und mit einer harzigen Kittmasse ausgefüllte
Schmuck zu uns. Etwa 15 Jahre früher war in Eng-
land bereits dieser Schmuck entstanden; und in Auf-
nahme gekommen. Die enge Anlehnung an diese
englischen Vorbilder ging zunächst sogar so weit, daß
man die fertigen Stanzen von England bezog und
nun so mit der festgelegten Form in Deutschland
Schmuck herstellte. Es ist jedoch eine erfreuliche
Erscheinung, daß nun dieser Goldschmuck eine, wenn
auch nicht umstürzende, so jedoch gesunde deutsche
Umwandlung durchmachte und heute noch ruhig

eine kritische Bewertung vertragen kann. Besonders
interessant sind hier die Broschen und besonders lehr-
reich für die ganze Entwicklung, zumal sie seit der
Biedermeierzeit eigentlich überhaupt erst als selbst-
ständiges Schmuckstück auftraten. Vordem waren
ähnliche Stücke nur im Zusammenhang mit anderen
Schmuckteilen, als Gürtel, als Anhänger oder als Schloß
einer Kette aufgetreten. Die Brosche ist sehr ge-
eignet, als typisches Beispiel für die stilistische Ent-
wicklung des Schmuckes zu dienen. Sie bestehen
meistens aus festgeschlossenen, zu Knoten zusammen-
geführten, ruhigen breiten Flächen, die in durchweg
ovalen Umrißlinien energisch und kraftvoll als Schluß-
stück von Gewandteilen dienen (Abb. S. 205).

Die ersten Stücke zeigen diese feste Form ohne
jede Gravierung nur auf Materialwirkung berechnet.
Diese charaktervolle Art verwischt sich jedoch bald,
schon nach wenigen Jahren treten mehr und mehr
naturalistische Motive hinzu, die sich jedoch noch
in strenger Stilisierung dem Rahmen unterordnen und
einfügen (Abb. S. 204). Diese hinzugefügten Blüten,
Blätter und Äste gewinnen dann aber die Bestimmung
der Form (Abb. S. 205). Die den Schmuck begrenzen-
den Linien werden unruhiger, das Stück selbst, das
vorher geschlossen war, wird durchbrochen und die
Technik muß sich dieser neuen Form anpassen, denn
ein Ausfüllen der Blätter und Blüten ist nun nicht
mehr ratsam (Abb. S. 204). Die besseren Schmuck-
stücke aus der Zeit der Romantik, die ihrer träume-
rischen, nach innen gerichteten Art wegen nur deut-
schem Wesen anzupassen ist, nehmen seltsamerweise
nunmehr den Weg über Paris zu uns. Waren wir
in der Mode für weibliche Kleidung vorher schon
lange von Frankreich abhängig gewesen, so löst nun
auch im Schmuck der französische Einfluß den eng-
lischen ab. Allerdings finden wir auch hier, wie auf
so vielen andern Gebieten bestätigt, daß der Schmuck
in Deutschland, z. B. Pforzheim hergestellt wurde und
dann fertig oder als Halbfabrikat nach Frankreich ging
und dann als französisches, d. h. Pariser Fabrikat mit
hohen Preisen auf den deutschen Markt kam.

Diese Formen waren bis dahin lediglich aus edlem
Metall, Gold oder Silber hergestellt worden. Dem sich
mehrenden Wohlstand genügte diese Form nicht mehr
und nach und nach kam, wenn auch zunächst noch
vorsichtig, die Verwendung von Schmucksteinen und
Emaillierungen dazu. In der Hauptsache sind es
Granaten und Türkise, die zur Anwendung kommen.
So haben wir etwa um 1865 Schmuckstücke, die in
ihrer reichen Gliederung und Buntheit längst den
Zusammenhang mit dem Kleid verloren haben und
nur für sich Beachtung und Bewertung beanspruchen.
Einen starken Einfluß übt bei dieser Entwicklung
natürlich die Industrie aus, die mit raffiniert arbeitenden
Maschinen technisch großen Ansprüchen gerecht wird.
Die Stücke haben vollständig den Zusammenhang mit
einer künstlerischen Entwicklung verloren. Will man
den Goldschmuck jener Zeit gruppenweise ordnen,
könnte man es nur nach den Firmen und Industrie-
zentren tun, die sich um die Herstellung kümmerten.
Bestimmte Arten erscheinen nur für ein oder zwei

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