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Kunstnachrichten — 1.1911/​1912

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No. 19/20 (15. Juli 1912)
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KUNSTNACHRICHTEN
BEIBLATT DER KUNSTWELT

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I. JAHRG. No. 19/20

15. Juli 1912

Vom nationalen
Unsere „impressionistische Weltanschauung“ ist
wohl die letzte Ursache der Launenhaftigkeit, der
Unsicherheit unseres Geschmackes. Insoweit wir
nicht starr konservativ sind, so haben wir doch
auch teil an dem Wechsel der Moden und Welt-
anschauungen, wir verfolgen mit Staunen und
Bewunderung die Taten und Gedanken unserer
Zeit, wir lauschen jedem, der mit der Gebärde
etwas Originelles sagen zu können auftritt, und
wer nur halb hinhört, wird leicht von Schein-
weisheit verführt. Mitunter sind wir wohl mal
ein Stündchen in Hellas und Rom oder in Florenz
zu Gaste oder lassen unsere Blicke ein Weilchen
bewundernd auf orientalischer oder gotischer Kunst
ruhen, aber bald kehren wir zur „Moderne“ zu-
rück, wo es uns anheimelt. Jedoch, das um
jeden Preis Modemsein wollen heißt wurzellos
sein, die unbedingte Bewunderung dieser unserer
Zeit — die man allerdings auch zu anderen Zeiten
findet, aber immer waren es die Besten ihrer Zeit,
die sie nicht teilten •—- ist ein Beweis von Un-
kultur. Immer wird gerade der vor Geschmack-
losigkeiten bewahrt sein, den noch einige Fasern
mit dem Geist und dem Geschmack seiner Väter
verbinden. Der Geschmack des Bürgertums ohne
Tradition, das aus der breiten formlosen Völker-
masse aufsteigt, ist wie Gallert oder Sand, form-
los und wandelbar.
In diesem Sinne könnte man wohl mit Karl
Scheffler sagen, daß der Impressionismus der
künstlerische Ausdruck unserer Weltanschauung
sei, und wir haben philosophische Schriftsteller,
die uns das in umfangreichen Schriften bewiesen
haben und damit unserer Zeit eine Schmeichelei
zu sagen glaubten. Sie sind ferner der Über-
zeugung, daß das 19. Jahrhundert den Impressi-
onismus erfunden habe, wohingegen man ihm in
*) Wir verweisen auf den ersten Aufsatz über dieses Thema in
Heft Nr. 17/18 der Kunstnachrichten.

Geschmack II.*)
Europa schon vor 1800, in Asien vor 1000 Jahren
und von da ab immer in einzelnen Zeiten und
Schulen wieder begegnet. In ihrer unhistorischen
Stellungnahme vergessen sie, daß er nur eine
Sehweise ist und daher nur Akzidenz und nicht
Substanz eines Kunstwerkes sein kann. Und
nur diejenigen, die jedes Kunstwerk in irgend
einen „Stil“ wie in ein Fach hineinstecken müssen,
können ihn zum Stil unserer Zeit stempeln, ab-
gesehen davon, daß es ja Gott sei Dank heute
auch noch andere nicht-impressionistische Kunst
gibt.
Es gibt immer noch naive Menschen, die
glauben, daß man in einer Art optisch-chemischen
Prozesses eine neue Kunst schaffen könne, die
nach Dürers Wort aus der Natur herauszureißen
wäre. Wie alles Lebendige wächst auch sie,
sie nimmt wohl die Nahrung aus der Natur, aber
sie wurzelt in der Seele des Menschen, und sie
wird niemals das Gebilde einer logisch-philoso-
phischen Konstruktion, sondern stets das unmittel-
barer Empfindung sein. Aber die Seele des Schaf-
fenden bedarf doch wohl der Erfahrung, und
vor allen in den Entwicklungsjahren der Anlei-
tung, und die kann ihr nur durch die Werke der
besten Meister vermittelt werden. Es gibt gewisse
Formen, die nur zum Schaden des Kunstwerkes
gesprengt werden können, und diese finden wir
in ihren ewigem Wandel und ihrer ewigen Be-
ständigkeit immer wieder mehr in den Werken
der Vergangenheit als denen unserer Zeit aus-
gedrückt. Oder wir finden sie als Anweisungen
und Grundsätze in den Künstlerschriften oder in
lebendiger Tradition, z. B., in den französischen
Ateliers, wo sie oft auf den Altmeister Delacroix
zurückgehen, zu dem auch noch die jüngste Ge-
neration verehrungsvoll aufblickt.
Es ist also die Herstellung einer Tradition,
einer engen Verbindung mit der historisch ge-
 
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