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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Oktoberheft
DOI Artikel:
Bogeng, Gustav A. E.: Deutsche Einbandkunst der Gegenwart, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0060

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wegen auch technische Problem, gegnügen und ein Bei-
spiel, das es gestattet, noch kurz auf die Grenzen der
Lederauflage hinzuweisen und gleichzeitig einer irrigen
recht verbreiteten Meinung entgegen zu treten. Ganz
gewiß haben die alten Meister in ihrer Art unübertreffliche
Einbände geliefert. Aber sie haben keineswegs immer
die höchsten Stufen technischer Leistungsfähigkeit erreicht
und es ist sehr wohl möglich, daß die Nachbildung eines
Grolierbandes, eines Einbandes der Pabeloupwerkstätte
in dieser Beziehung sein Vorbild weit übertrifft, weil die
Zierverfahren ihre technischen Qualitäten vervollkommnet
haben. Das ist auch deutlich erkennbar, wenn man den
Einband, den die kunstgewerbliche Abteilung der be-
kannten Leipziger Großbuchbinderei Hübel & Denck für
eine Liebhaberausgabe von Choderlos de Laclos Liaisons
dangereuses lieferte, mit den berühmtesten Arbeiten der
eben genannten Pariser Werkstätte des achtzehnten Jahr-
hunderts vergleicht. (Abb. 2).

Der mit dunkelviolettem Ziegenleder überzogene Ein-
band ist in seinen Einzelheiten, seinen Stempeln und
ihrer Anwendung, durchaus modern, wenn auch seine
Zeichnung in ihrer Gesamtanlage an jene, jetzt mit Gold
aufgewogenen, Pariser Mosaiken des 18. Jahrhunderts er-
innert, er ist keine Imitation, keine Kopie schlechthin,
sondern eine Nachschöpfung, deren Ausführung erheblich
genauer, kunstgewerblich vollkommener ist. Die gelb-
roten stilisierten Nelken mit ihren grünen Blättern auf
dem altgoldfarbigen, handgeglätteten Leder der von regel-
mäßig verteilten goldenen Streublumen umgebenen Decken-
mittelstücke geben gleichzeitig dem Rückenschmuck seine
dekorativen Elemente und führen so eine Einheitlichkeit
der Verzierung herbei, die den alten Mosaiken noch fehlte,
für unseren Geschmack aber unerläßlich erscheint. Und
auch das Vorsatz ist nicht willkürlich hübsch, sondern
der Absicht des Einbandschmuckes gemäß gewählt worden,
kein Goldbrokatpapier, wie es gerade auf dem Lager war,
sondern ein zitronengelbes Japanpapier, das mit den
Nelkenstempeln der Deckenvorderseite als Streumuster in
Handvergoldung und Handkolorierung ausgeführt wurde.
Vielleicht wird mancher einwenden mögen: Kleinigkeiten.
Aber von diesen anscheinenden Nebensächlichkeiten
hängt die volle Wirkung eines gelungenen Kunsteinbandes
ab, er muß nicht nur — selbstverständlich - ein gutes

Stück Arbeit, sondern auch in allen seinen Teilen, sogar
in denjenigen, die im Schaukasten verborgen bleiben,
kunstgewerblich durchgearbeitet sein.

Höchstleistungen einer freilich von den abendlän-
dischen Zierverfahren bisweilen erheblich abweichenden
Dekorationstechnik sind der alten islamischen Buchbinderei
gelungen und die Aneignung ihrer Muster stellt auch der
Handvergoldung und Lederauflage, wie sie jetzt in der
Buchbinderei üblich sind, die schwierigsten Aufgaben,
deren Lösung ein anderer von der kunstgewerblichen Ab-
teilung der Buchbinderei Hübel & Denck hergestellter, mit
handgeglättetem schieferblauem Ziegenleder überzogener
Band als Beispiel erläutern soll. (Abbildung 3) Seiner
reichen Handvergoldung, die durch die Feinheit der vielen
kleinen Stempel jene bewegte Oberfläche der Decken-
zeichnung erreicht, die der glatten Preßvergoldung versagt
bleibt und die auch an die Augenkultur des Betrachtenden
die höchsten Anforderungen stellt, weshalb sie vielleicht
in der europäischen Einbandkunstgeschichte nur einmal,
im sogenannten Le Gascon-Stil, Selbständigkeit gewinnen
konnte, dieser glänzenden Ornamentik kommen noch eine
grüne Lederauflage mit roten Rosetten und blauen Durch-
brüchen zu Hilfe, während in der Deckenmitte der
schwarze Stern und die ebenfalls schwarzen Eckstücke
wie beim islamischen Einbande dem Auge Ausgangs- und
Ruhepunkte schaffen. Daß die Behandlung des Rücken-
schmuckes der Deckenverzierung entspricht, versteht sich
bei einem Kunsteinbande von selbst. Weit weniger häufig
dagegen ist eine Ausstattung der Innendeckelseiten, die
diejenige der Außendeckel wiederholt, weil der Leder-
spiegel und sein Schmuck zwar, gewissermaßen die Ein-
banddecke verdoppelnd, ihre Haltbarkeit verstärkt und
ihre Wirkungen vervielfacht, dafür indessen auch ihren
Preis um das Doppelte zu vermehren pflegt. Bei dem
hier abgebildeten Spiegel der kostbaren Hülle für die
unsterblichen Weisheitssprüche Osmars des Zeltmachers
ist ein Verfahren angewendet worden, das seiner Fragilität
wegen nur für Einbandinnenseiten in Frage kommen
sollte, der handvergoldete himbeerfarbene Lederspiegel
ist mit einer Durchbrucharbeit geschmückt, die mit
blaugrün schillernder Seide unterlegt wurde (Ab-
bildung 4).

(Schluß folgt).

Roter Maroquinband, Mitte 17. Jahrhundert.

Kat. 101, C. G. Boerner, Leipzig.

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