Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Oktoberheft
DOI Artikel:
Widmer, Johannes: Der "Salon national" von Basel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0061

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Det? „Salon national“ non Bafel

oon

7of)annes lÜtdmet’

Unser Genfer Mitarbeiter, Universitätsdozent Dr.
Johannes Widmer, der für den „Kunstwanderer“ den
„Salon national“ in Basel besuchte, schreibt uns über
diese XIV. Schweizerische Kunstausstellung in Basel:

IVyiehrerer Kürze halber und mit einigem Stolze pflegen
^ wir diese Veranstaltung, die alle zwei Jahre wieder-
kehrt und vom Bunde ausgeht, unseren „Salon
national“ zu heißen. Bedeutende Erinnerungen sind
an ihn gebunden, von Namen wie Frank Buchser,
Ferdinand Hodler, Albert Welti, Max
B u r i und ähnlichen getragen. Nun sind diese Meister
alle hingegangen. Wer hat die sinkende Fahne auf-
gehoben? Die Antwort auf diese Frage ist wohl das,
was das Ausland zu wissen am meisten Lust und An-
spruch hat.

In Malerei und Plastik sind Künstler da, die
zur Nachfolge jener entschwundenen Meister würdig und
berufen sind. Wenn dieser Salon tm Allgemeinen den
Eindruck einer vielverbreiteten Tüchtigkeit weckt, wenn
die Zahl der beträchtlichen Könner groß und ihr Stand
erfreulich hoch ist, so macht es doch gar keine Not, die
stärksten unter ihnen, und für den Wettbewerb der Welt
die Starken, zu zeigen und zu charakterisieren.

Es sei zuerst der Strauß der Malerei gebunden.
Gemälde wie die von Cuno Amiet, Maurice
Barraud, Alexandre Blanchet, Emile
Bressler, Ernst Geiger, Abraham Hermen-
jat,AlexandrePerrier sind Manneswerke, welche
die Linie der Vorfahren mit Energie fortführen. Diese
Maler sind untereinander sehr verschieden, insofern
Amiet einem plastisch und großformatig gehaltenen,
zur Wandmalerei strebenden Impressionismus huldigt;
Barraud dasselbe Ziel mit einem, schimmernd helle
Gestalten auf seidene Ebenen webenden, Degas- und
Japaneindrücke darin verflechtenden Gobelinstil zu treffen
sucht; Bressler den Weg der Sisley, der Monet und
Pissarro geht, ihre Eroberungen mehr und mehr auf die
Figur in wohliger Geselligkeit hinüberleitend, so daß
sommerlich leuchtende Stilleben aus Menschenkindern
(meist um ein Stilleben her) entstehen, Liebessträuße;
ihnen gegenüber sind Geiger, Hermenjat, Perrier mehr
einsame Wanderer und Naturbeschauer, und zwar pflegt
Geiger, der unter der erstgenannten Gruppe am ehesten
noch, durch eine gemeinsame Neigung zu dem Monet-
kreise, mit Bressler zusammenhängt, vornehmlich die
Landschaft, die er zumeist im Sinne hängender Gärten
auffaßt, zu denen wir aufschauen, in die wir nieder-
blicken, und in welchem eine Hodlersche Note wesent-
licher, in allerschöpfenden Kurven sich ausdrückender,
einheitlicher Darstellungskraft wirkt. Der zu goldbraunen
und -grünen Tönen sich neigende farbige Stil dämpft
den Impressionismus der Franzosen, wo er zu heiter,
schillernd und einmalig ist. Geiger ist, über den Einfluß
Hodler’s und der Franzosen hinweg, eine Art tagfroher,

tapferer, das Leben als Pracht bejahender Claude Lorrain
für unsere Tage. Hermenjat malt, als sei er ein
Kamerad des Poussin, der aber mit Velazquez und C£-
zanne ebensogute Freundschaft hielte, (wie sie selbst mit
ihm). Landschaftlich steht der erste, figural der zweite,
maltechnisch (und als Malerblut) der dritte ihm am
nächsten. Dennoch überwältigt das eigene Temperament
des Künstlers, und was er an landschaftlichen, volkstüm-
lichen lemanischen Eindrücken lebenslang aufgenommen,
eingesogen, geklärt hat, die Macht der Wahlverwandten,
und seine Seestücke, Stilleben, Bauernbilder — in denen
dann wiederum alles eng Provinzielle getilgt ist — sind
wie eine in tiefe Farbenwunder umgewandelte „grüne
Grotte“ vollendeter Kleinodien. Alexandre Perrier
ist eine zugleich treue und hymnische Persönlichkeit;
ekstatisch in der Andacht zur Natur, treu in der Funda-
mentierung seiner Werke. Man möchte ihn den Berg-
prediger nennen, wenn seine Predigt nicht ehrendes
Schweigen vor großer Schönheit wäre. „Zart“ und „er-
haben“ und „beständig“ sind die Attribute seiner real-
symbolischen Künstlerschaft.

Blanchet krönt die Ausstellung. Die „Nackte“
ist die Natur selbst, die unter Malers Arbeit Kunst wird.
Ein macht- und ruhevoller Leib, scheu und von angeles-
ker gedämmter Leidenschaft; eine dumpfe gewaltige
Farbenpracht, ob auch die Komponenten rostbraun und
braungrün seien, fast nichts mehr; Freiheit und Würde
ergeben sich als stille Sprache, als stummer, anbetender
Dithyrambus dieses Werks, dieses still-unaufhaltsam
emporgewachsenen Künstlers. Blanchet hat Stoff und
Drang zur Größe, und mit Bedacht läßt er seine Er-
fahrung reifen.

Amiet und Blanchet sind Sommer und Herbst, Hitze
und Wärme, Kraft und Macht, Fruchtbarkeit und Aus-
reifung. Zum Monumentalen ist beiden viel gegeben,
wenn es ihnen gelingt, die Einzelneigungen in den Kanal
zu leiten, der alles mengt und auf die Stätte hingeleitet,
wo ein großer Geist den hohen Zweck rein und ganz
durchführt und ungehindert in die Fülle der Mittel will
greifen können, (welche keine Sondergelüste mehr be-
friedigen müssen). Noch ist die Stunde vor uns, wo
Amiet, wo Blanchet sich und uns diese Probe, den er-
habenen Verzicht, ablegen sollen.

* *

*

Die Plastik war in der Schweiz lange im Hinter-
treffen. Jetzt regts sich in unseren Gauen. Bildhauer
wie Amiet, Angst, — Barraud, Hänny, H u -
bacher, Haller und V i b e r t, eine engere Auswahl
aus einer erfreulichen Menge wackerer Mitbewerber —
stehen unserer Kunst an wie einst P r a d i e r, dann
R o d o. Die Gedankenstriche vor Amiet und Barraud
wollen die Überraschung ausdrücken, daß beide herr-
lichen Maler auch starke und feine Plastiker sind,

57
 
Annotationen