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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
2. Augustheft
DOI Artikel:
Schneider, Friedrich: Die neuentdeckte Greizer Bibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0465

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2. Augustrißfi:

Die neuentdeckte Qceieec Bibliothek

non

ftuedtncf) Schneidet?

Als Ergänzung zu dem Artikel „Ein neues Kunst-
Mekka in Deutschland“ von Prof. Dr. Hans W. Singer
(Dresden) bringen wir im folgenden einen Aufsatz von
Dr. Friedrich Schneider-Jena, über die reichen bisher
unerforschten Schätze der im Oberen Schlosse zu Greiz
befindlichen Bibliothek.

fj er Aufsatz, den Prof. Dr. Hans W. Singer im Juli-
Doppelheft des „Kunstwanderers“ über die neuent-
deckte Greizer Kupferstichsammlung veröffentlichte, hat
im In- und Auslande weithin ein Echo gefunden und,
wie ich erfahre, befruchtend gewirkt. Die Landes-
regierung Reuß, die auf mein Ersuchen hin den Dres-
dener Gelehrten zu einer Besichtigung der Kunstschätze
nach Greiz gerufen hatte, betraute inzwischen Professor
Singer mit der wissenschaftlichen Katalogisierung der
Kupferstichsammlung.

Diese hervorragende Sammlung ist ein Teil einer
neuentdeckten Bibliothek, die bis vor kurzem fast nie-
mandem bekannt war. Sie befindet sich in den früheren
Kapellenräumen des sogenannten Oberen Schlosses, das
auf dem etwa in der Mitte der Stadt Greiz sich erheben-
den Burgberg steht. Und ihre über zehntausend, teil-
weise prunkhaften Bände waren seit vielen Jahren voll-
ständig vergessen. Nur ein Hofbeamter hat die Räume
hie und da betreten, die Türe wieder sorgfältig und
geheimnisvoll geschlossen und dem Staube weiter die
Herrschaft überlassen. Nach dem großen Sturm, der
über Deutschland dahingebraust ist, öffneten sich auch
die Türen dieser Bibliothek; eine Schaubibliothek ersten
Ranges, wie sie ein kürzlich durchreisender Gelehrter
nannte, wurde entdeckt, frische Luft zog durch die ge-
öffneten Fenster in die gänzlich verstaubten Räume, köst-
liche Schätze harrten ihrer Auferstehung.

Die Bibliothek ist ohne Zweifel von mehreren Be-
sitzern zusammengebracht worden. Herren aus dem
reußischen Hause haben wohl früher literarische Inter-
essen gehabt. Viel, sehr viel des Besten stammt nach-
weislich aus dem Besitze der bereits von Singer er-
wähnten englisch-deutschen Prinzessin Elisabeth, einer
Tochter Georgs III., der späteren Landgräfin von Hessen-
Homburg. Sie besaß Geist und Geschmack, das Schick-
sal stellte ihr reiche äußere Mittel zur Verfügung — von
ihr stammt z. B. auch das Silber des reußischen Hauses.
Doch wir sind ihr noch eine Huldigung schuldig: in der
Bibliothek befinden sich wohl gegen hundert Bände und
Hefte mit handschriftlichen Aufzeichnungen von ihr: sie
sammelte Gedichte und ließ sich Urschriften über-
reichen (wir besitzen einen ihr geschenkten Manuskript-
band der englischen Schriftstellerin Elisabeth Carter
[1717—1806]), Predigten schrieb sie selbst nach oder
empfing ihre Abschrift, von ihrer Hand stammen histo-
rische Essays, wie sie überhaupt zu den größten Kennern
der englischen Geschichte gerechnet wird! Auf dem
Gebiete der Malerei war sie eine anerkannte Künstlerin
und Sammlerin. Auch ihrem literarischen Nachlaß wird
der Bearbeiter nicht fehlen.

Es ist, im Großen und Ganzen, ein Teil der Kultur
des 18. Jahrhunderts, der uns hier, in französischer,
englischer und deutscher Sprache, entgegentritt. Von
schwersten Pracht-Foliobänden bis zum zierlich gebun-
denen Lieblingsbande sind in der Sammlung alle Bücher-
größen vertreten. Der Kupferstichsammlung „Elisabeth“
sind riesige, mit Kupfern geschmückte Prunkbände an-
gegliedert, deren Wert heute offen zu Tage liegt! Dabei
befindet sich die Bibliothek in einem sehr guten Zu-

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