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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Einige Glossen zur neueren Künstler-Illustrationskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0166

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Hans lÜolfgang Singet?

A lsdie Berliner Sezession in ihrer Winterausstellung 1908
die ganze Reihe der Steindrucke Bonnards zu Longus’
Daphnis und Chloe auslegen ließ, hat sie einigen Groß-
mut verraten. Denn wenn nicht alles täuscht, deckte sie
damit bis zu einem gewissen Grad ihre Karten auf, ver-
riet nämlich die Quelle, aus der die neuere deutsche
Künstler-Illustration, fast ausschließlich von den Mit-
gliedern der Berliner Sezession gepflegt, mehr als die
bloße Anregung geschöpft hat.

Eine geraume Spanne Zeit vor dem angegebenen
Jahr hat uns in Deutschland die Künstler-Buch-Ulustration
überhaupt gefehlt — etwa seit dem Erscheinen der Menzel-
schen Hauptwerke. Sie ist verdrängt worden von der
Photomechanik. Die Photomechanik hat es ermöglicht,
daß man Bücher illustriert mit Bildern, die gar nicht
ad hoc geschaffen sind. Man brachte Reproduktionen
nach Ölgemälden und Aquarellen. Auch wenn der Künstler
besonders für das zu illustrierende Werk neue Bilder
zeichnete, so kümmerte er sich nicht mehr um die schließ-
liche Druckform, sondern schuf Sepia-, Tusch-, Pinsel-,
kurz Ton-Zeichnungen. Der Chemigraph wurde ohne
weiteres mit ihnen fertig. Die Photomechanik hat die
Bücherillustration nach zwei Richtungen hin verroht. Sie
brachte den derben, viereckigen Umriß (es hat Jahrzehnte
gedauert bis der Rasterdruck den Strich faksimilieren und
„verlaufend“ arbeiten konnte), der wie eine unüberbrück-
bare Trennungsmauer das Bild vom Typendruck trennt.
Eine solche Illustration reißt ein quadratisches Loch in
den Satz-Spiegel und vernichtet jede Harmonie. Sodann
verdanken wir der Photomechanik die Einfügung des eben
beregten Fremdkörpers in die Illustrationskunst, des Ton-
bildes. Die späten Auflagen von Menzel-Kleist: Der zer-
brochene Krug z. B., enthalten vier ganzseitige Bilder, die
wie Ohrfeigen in dem schönen Werk wirken, Tonholz-
stiche nach Gouachen. Man gestatte mir das Paradoxon,
der Tonholzschnitt ist nur eine Abart der Chemigraphie:
jedenfalls könnten diese vier Gouachen ebensogut photo-
mechanisch wiedergegeben sein, und der Erfolg wäre
ebenso — schlecht.

Es hat also seine gute Berechtigung, wenn ich scharf
trenne zwischen der Künstler-Illustration und jener, die
über die Photomechanik geht. Denn es kommt weit mehr
in Betracht als einfach der Umstand — an und für sich
wichtig genug —, daß man bei der Künstler-Illustration
mit dem Buch doch zugleich Originalradierungen, Original-
steindrucke, Originalholzschnitte erhält.

In Frankreich war die Künstler-Illustration während
jener Zeitspanne nicht so ganz verschwunden wie bei
uns. Sie war aber zu einer Bibliomanie verderbt worden.
Pariser Verleger ließen geläufige Werke mit Radierungen
bekannter Künstler versehen. Die schlechten Seiten der

Buchausstattungskunst des 18. Jahrhunderts wurden zur
Richtschnur ausgewählt. Zwar achtete in diesen Ver-
öffentlichungen „de grande luxe“ (will sagen soviel wie
über die Gebühr teuer weil in kleiner Auflage gehalten)
keiner der Künstler darauf, daß eine Radierung, im Gegen-
satz zum Einzelblatt, einer dekorativen Ausgestaltung unter-
liegen muß, wenn sie in ein Buch passen soll. Die Ver-
leger aber achteten darauf, daß der organische Aufbau
des Werks gesprengt werde, durch Einfügung eines
zweiten Satzes der Kupfer, im Zustand „vor der Schrift“.
Schließlich trat noch die bunte Farbe hinzu, um den
künstlerischen Wert dieser Illustrationskunst noch wesent-
lich herabzudrücken. Für die Kreise, die in Kunstsachen
wirklich mitzureden hatten, bestand sie ja eigentlich auch
gar nicht, sondern nur für eine Gruppe von Bibliomanen.

Bonnard (und seine Nebenbuhler) werden kaum offen-
kundig in Gegensatz hierzu aufgetreten sein. Der be-
deutsame Schritt, den er nahm, war, wieder nach einer
engen Harmonie zwischen Satz und Bild zu trachten. Er
wollte das ohne Mittelsperson erreichen: folglich mußte
er statt zur Radierung oder zum Holzschnitt, zur Stein-
zeichnung greifen. Daß sein mit der Kreide gezeichnetes
Bild in engstem Anschluß mit der schön gedruckten Seite
daherwandelt, ist wohl die große Leistung, die in der
Illustrationskunst von „Daphnis & Chloe“ beschlossen liegt.
Es kommt ihm zu statten, daß er Impressionist reinsten
Wassers ist, auf die Deutlichkeit, die vom Wissen her-
kommt, nichts gibt, sondern dem Auge nur Eindrücke
bieten will, die es selbst zu einer Wahrnehmung ver-
arbeiten muß. Er liefert Striche, die zunächst oft unklar
erscheinen, daher sich in allererster Linie als gezeichnete
Striche geben, und dem Auge das, was der Typendruck
bietet, fortzusetzen scheinen. Auf diese Weise wird die
Harmonie des Ganzen herbeigeführt.

Liebermann, Meid, Preetorius, Slevogt, Walser, sind
einige der deutschen Künstler, die auf diesem Pfad weiter-
wandeln. Ich will an dieser Stelle nicht ihre Werke
aufzählen oder gar eine Art Rechenschaftsbericht darüber
erstatten, sondern nur auf einen Punkt die Aufmerksam-
keit leiten. Sind es überhaupt „Illustrationen“ im eigent-
lichen Sinn des Wortes? Illustriert, das heißt doch wohl ver-
anschaulicht, verdeutlicht Bonnard das Wort? Im Longus
steht, daß Daphnis rabenschwarzes Haar hatte. Bei

Bonnard erscheint er ebensooft blond wie brünett. Über-
haupt gibt sich der Künstler nicht die geringste Mühe,
uns jedesmal unverkennbar denselben Menschen zu zeigen.

In Liebermanns Kleistillustrationen zur „Anekdote“
finden wir auf Seite 20 ein Boxerpaar, dem eine große
Menge zuschaut. Sie stehen auf weitem Felde. Kleist
schrieb aber, die Szene hätte stattgefunden „im Garten
einer Kneipe“! Die Geschichte von den Hunden und

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