Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Septemberheft
DOI Artikel:
Widmer, Johannes: Das künstlerische Genf
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0017

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das kün{tl<2ci(cbe Genf

von

7obanties LDtdmeü

Diese Zeilen sind eine Skizze der Entwicklung von
Genfs Malerei im neunzehnten Jahrhundert und eine
Andeutung ihres gegenwärtigen Standes. Uebrigens be-
reitet unser Mitarbeiter Dr. Johannes Widmer, Privat-
dozent an der Universität Genf, ein Buch über das
Thema vom künstlerischen Genf vor.

Im Genfer Museum prangt ein erratischer Block aus
einem Zeitalter freudigen Bilderglaubens, das Altar-
werk des Meisters Konrad Witz in das Scheinchaos der
Gegenwart herüber.

Die Zeit Calvins, der das Schöne dem Notwendigen
zu unterwerfen hatte, und so ziemlich das ganze sieben-
zehnte Jahrhundert, erstickten jede Regung freier Kunst
in dieser Stadt. Nur der Architektur wurde die Entfaltung
zu schlichter Würde zugebilligt. Das achtzehnte Jahr-
hundert milderte die Härte der Mandate. Doch zog auch
da noch vor die Tore, wer in Schönheit leben wollte.
Die Reichen verließen zuhauf die engen Reihen der
Stadthäuser und wohnten den Sommer über und so lang
es irgend anging, auf ihren behaglichen Landsitzen.
Nach außen hin waren diese Bürgerschlösser die Ein-
fachheit selber, nur durch die Reinheit der Verhältnisse
wuchsen sie ins Reich der Kunst. Das Innere war mehr
im Sinn der Zeit gehalten, und einige Maler schmückten
es mit Darstellungen nach italienischen und lieber noch
holländischen Vorbildern. Nicht selten begeisterten diese
Künstler sich an der Natur des Lemanlandes, einigen
wurde sie zur Herrscherin, der sie den fernen Alpenkranz
wie ein Diadem auflegten. — Wenn sich die Reichen so
behalfen, so wanderten die Andern, wenn sie trotzigen
und unternehmenden Geistes waren, in die Ferne. So
Petitot, so Liotard.

Die Revolution, die Republik, das Kaiserreich, welche
die alte Stadt alle auf ihre Weise tief erschütterten,
brachen neuen Anschaungen Bahn. Die Kunst erhielt
das Recht zum Dasein. Der Erste, welcher der Freiheit
mit Wohlgefühl genoß, war, neben Massot, neben Agasse,
der Genre-, Figuren- und Landschaftsmaler Wolfgang
Adam Toepffer. (Sein Vater war aus dem deutschen
Frankenlande an den Leman gefahren.) ln Toepffer’s
Seele klang das Rokoko noch lange nach; seine muntern
Augen aber weideten sich an Land und Leuten, Lust
und Leid, Ursprünglichkeit und Mutterwitz des benach-
barten und erst jetzt recht erschlossenen Savoyen. Ein
Malen kam dabei heraus, das nach Stoff und Form, vor-
nehmlich in der heiteren Seite, dem Schaffen eines
Schwind, Spitzweg, ja Welti vorausging und nahekam.
Immer aber mit gallischem Zusatze. Die Gabe des
Humors vererbte Adam auf seinen lieben Sohn Rodolphe.
Dieser waltete der Karrikatur schalkhaft und schlagend,
wie ein Busch; im Stile seiner Darstellung wie auch in
der Darstellung des Stiles, als Zeichner wie als ästhetischer
Schriftsteller, zeigte er eine Neigung zu huschenden Im-
pressionismen, zu packenden Bewegungsparallelen . .
Der Anschluß des von Napoleons Joch befreiten

Stadtstaates an die verjüngte schweizerische Eidgenossen-
schaft; die geistbewegte, wenn auch politisch starre
Restauration; die muntere Miniaturrevolution der Radi-
kalen (1814/15, 1815—1846, 1846/48), sie hatten den
Künstlern und Dichtern inzwischen ein fruchtbares Hinter-
land in der Natur und der vielfältigen, vieldeutigen Ge-
schichte des Schweizerbundes aufgetan. Zwei Landschafter
traten auf, Diday und Calame, die griffen energisch in
den Schatz des Hochgebirgs, und für eine Zeit ernteten
sie europäischen Ruhm. Vom lauten Klange dieser
Namen drang eine Welle auch in das stille Berner Dorf,
wo ein armer einsamer Junge — er hieß Ferdinand
Hodler — sich an der Schönheit der Berge und der Seen
tief berauschte. Noch hatte er es nicht erkannt, was sie
denn eigentlich von ihm wollten. Da vernahm er diese
Musik aus Westen, und nun wußte er’s: Er mußte

Künstler werden und diese seine Welt gestalten! Er nahm
den Wanderstab zur Hand und zog nach Genf . . .
Eine andere Malergruppe, voran der ältere Lugardon und
J. Hornung griffen in den Schrein der Historie (Gründung
der Eidgenossenschaft, Genfer Glaubenskämpfe). Auch
ihre Saat ist aufgegangen.

Doch mittlerweile ließ der Impuls der freudig er-
regten Tage nach. Der Aufstieg Genfs zum Range der
ersten schweizerischen Kunststadt schien ins Stocken zu
geraten. So war es, und so blieb es lange Zeit, von
1860, 70 bis über 1890. Einem Alfred van Muyden war
am wohlsten, wenn er, weitabgekehrt, ein Mutterglück,
ein Mönchsidyll belauschen und mit lieblich-festem Sinne
malen konnte. Ein Simon Durand ging den lauschigen
Winkeln, den drolligen Augenblicken des Alltags nach
und stellte sie mit (mälig nachlassendem) Feuer dar. Es
war ein Versiegen und Versagen. Menn brachte wohl ein
Evangelium . . .

Barthelemy Menn war der leitende Geist der Kunst-
schule und ein hochbegabter Maler. In jungen Jahren
von der Klassik, von der Romantik mit gleichen Kräften
angezogen, von Ingres, von Delacroix beachtet und be-
einflußt, wandte er sich mehr und mehr dem Werk und
Wesen der Meister von Babizon zu, Corot, Le Frangais,
Daubigny; ergeben aber hat er sich ihrer stimmungs-
vollen Musik nie so ganz; bis an sein Lebensende quälten
ihn eine unruhvolle Spannung, ein peinlicher Wissens-
drang. Sie hinderten ihn an der unverdrossenen Aus-
breitung der eigenen Anlagen. Eine Verbitterung ward
sein Los, die ihm den Atem raubte, den Kompositions-
trieb erstickte, ihn selbst im Bildnisse beengte und nur
in der Darstellung der Landschaft freier gehen ließ.
Auch hier flatterte seine Phantasie mächtigen, doch
schweren, tiefen Fluges . . . Von der Art der Diday,
Calame sich lossagend, wurde Hodler der Schüler dieses
Menn, und bald, kraft seiner Kunst und dank seines
Charakters, sein Erkorener. Im Gegensatz zu vielen

13
 
Annotationen