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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Oktoberheft
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Bogeng, Gustav A. E.: Deutsche Einbandkunst der Gegenwart, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0057

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Deutsche Smbandkunst dev Qegemmt’t

oon

6. A. 6. Bogeng

[jie Buchbinderei als Kunstgewerbe hat eine selb-
•^-^ständige Bedeutung in der Wiegendruckzeit ge-
wonnen, also gleichzeitig mit der Ausbildung und Aus-
breitung des Buchdrucks.1) Diese Entwicklung ist ganz ge-
wiß durch die große Bücherverbilligung und Bücher-
vermehrung, die seit Gutenbergs Tagen eintrat, gefördert
worden. Indessen entstammte ihre innere Kraft der damals
von der islamischen Buchbinderei übernommenen neuen
Einbandzierweise. Hatte im frühen Mittelalter der Gold-
schmied mit seinen kostbaren Platten auch Hüllen für die
erlesenen Buchhandschriften geschaffen, so trat ihm später
als ebenbürtiger, bald überlegener Verfertiger von Einband-
schmuckarbeiten der geschickte Mönch an die Seite, der
in der Klosterschreibstube die Rind- oder Schweins-
leder überzogenen schweren Holzeinbanddeckel mit
Pressungen bedeckte, teils, indem er mit besonderen Werk-
zeugen deren Muster vielfach wiederholend die von ihm
entworfene Einbandzeichnung im Stempeldruck ausführte,
teils, indem er in gröbere Weise mit Prägeplatten größere
Stücke der Einbandzeichnung auf einmal einpreßte. Da-
neben dienten nach und nach noch Werkzeuge, die die
Mitte zwischen dem Handstempel und der Prägeplatte
hielten, wie die sogenannte Buchbinderrolle, dieser Blind-
druckverzierung, das heißt demjenigen Einbandschmuck-
verfahren, daß mit dem Eindrücken heißer Stempel, die
erhaben oder vertieft auf dem Einbandüberzuge ihr Muster
wiedergeben, den Einband dekoriert. Dagegen ist der
Lederschnitt in der Frühzeit der Einbandkunst nur ver-
einzelt zur Anwendung gekommen, fast gar nicht aber in der
Renaissance. Die Buchbinderei als bürgerliches Gewerbe
ist dann in dem Maße an die Stelle der Klosterwerk-
stätten getreten, in dem die Buchherstellung selbst ein
solches wurde. Als die Beispiele der islamischen Ein-
bandkunst über Venedig, wahrscheinlich von den Buch-
bindern aus Byzanz, nach Europa gebracht worden waren,
wurde die Handvergoldung das Hauptschmuckverfahren
der Buchbinderei, ln ähnlicher Weise wie der Blind-
druck angewendet, besteht ihre Eigentümlichkeit darin,
mit den Zierwerkzeugen dauernd Blattgold derart auf der
Einbanddecke festzuhalten, daß die Einbandzeichnung auf
den Einbandüberzug in goldenen Umrissen wiedergegeben
wird. Gleichzeitig mit der Handvergoldung sind auch die
feinen Ziegenleder, deren Zubereitung anfangs noch ein
Geheimnis des Orients war, der Einbandkunst Europas
zugute gekommen. Ihre Benutzung unterstützte die Be-
wegung, eine Erleichterung und Verkleinerung der Bücher
herbeizuführen, die im sechzehnten Jahrhundert sich
durchsetzte. Der bunte Einbandschmuck, für den eben-
falls die islamischen Buchbinderarbeiten hervorragende

0 Die beste deutsche Einbandkunstgeschichte ist noch
immer J. Loubier, Der Bucheinband, Leipzig: 1903, wenn auch
seit dem Erscheinen dieses verdienstvollen Werkes mancherlei
neue Forschungen, nicht zum mindesten die ihres Verfassers
selbst, Einzelheiten berichtigt und ergänzt haben.

Proben lieferten, ist anfangs in Europa nur durch Be-
malen der Einbände und verwandte Zierweisen erzeugt
worden. Seit dem achtzehnten Jahrhundert kamen die
farbigen Lederauflagearbeiten, die sogenannte Ledermosaik
in die Mode, während die echte Intarsiaarbeit, oft mit der
Mosaik verwechselt, nur ausnahmsweise bei Ein-
bandverzierungen begegnet. Zu den älteren Einband-
überzugsstoffen war bald im Pergament, besonders im
Kalbpergament, ein gleichwertiger zwar nicht neuer aber
doch erst seit dem sechzehnten Jahrhundert allgemeiner
gebrauchter Bezugsstoff hinzugekommen. Freilich blieben
die alten Pergamentbände meist unverziert oder wurden
nur mit sparsamem Blind- oder Golddruck geschmückt. Erst
seit dem zwanzigsten Jahrhundert ist mit Recht auch die
reichere Ausstattung von technisch vervollkommneten Per-
gamentbänden üblich geworden, wodurch sie dann eben-
falls der Gruppe des Kunsteinbandes hinzugefügt wurden.
Der leinenüberzogene Einband, aus England im neun-
zehnten Jahrhundert überallhin eingeführt, ist ein Nutz-
band, der die Bücher nicht mehr für viele Jahrhunderte
schmücken und schützen soll, wenn er auch in seiner
Anwendung als Verlagseinband durch die Erfindung der
Maschinenschmuckverfahren des neunzehnten Jahrhunderts,
der Blind- und Goldpressungen, eine erhebliche Be-
deutung für die Einbandkunst insofern gewann, als nach
Künstlerentwürfen hergestellte Masseneinbände große Ver-
dienste um die Geschmacksverfeinerung der Einbandver-
zierung hatten und haben können. Daß das der Fall sein
konnte, ist insofern auch durch einen Gegensatz zwischen
Einzeleinband und Masseneinband erklärt, als im neun-
zehnten Jahrhundert die fabrikmäßige Einbandherstellung,
die die eben erfundenen Buchbindereimaschinen erlaubten,
der handwerklichen Einbandherstellung nicht lediglich
wirtschaftlichen Schaden brachte, sondern auch damit
einen jahrzehntelangen künstlerischen Verfall der Buch-
binderei in den Werkstätten verursacht hatte, bis die
neue Buchkunstbewegung um 1900 auch die Selbstbe-
sinnung auf das gute Stück Arbeit wieder erweckte, auf
den inneren Gebrauchswert des Bucheinbandes, der sich
aus seinem Nutzwert ergibt und dessen Vollendung der
äußere Einbandschmuck ist. Denn der Gegensatz zwischen
Einzeleinband und Masseneinband, wie er heute besteht,
ist ein tieferer als der zwischen besonders und in der
ganzen Auflage eines Buches gleichgeschmückten Ein-
bänden, es ist ein Gegensatz zwischen der Gebrauchs-
güte verschiedener Bindeweisen. Bereits die alten Buch-
binder hatten, indem sie nicht die Verteuerung sondern
die Verbilligung ihrer Einbände erstrebten, die erprobten
Vorzüge der besten Bindeweisen mehr und mehr aufge-
geben. Aber erst die Einbandfabriken bedienten sich, da
die Maschinenarbeit keine andere Bindeweise zuläßt, aus-
schließlich derjenigen Buchbindereiverfahren, die nicht
den Bucheinband eng mit dem Buchkörper verbinden,
sondern Buch und Einbanddecke loser zusammenfügen. Die

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