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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Septemberheft
DOI Artikel:
Schmidt, Robert: Verfälschte Möbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0013

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Robert Scbtrudt

\\ Tenn es keine Fälschungen gäbe, so wäre das
’ ’ Sammeln von Antiquitäten relativ leicht. Aber
dem Sammeln wäre damit ein großer Teil seines Reizes
genommen, des Reizes, der daran liegt, das Alte, Echte
von der Nachahmung unterscheiden zu lernen, hinter die
Schliche der Fälscher zu kommen und dadurch die
Sicherheit der Urteils immer mehr zu vertiefen. Der
richtige Sammler muß zugleich eine Detektivnatur sein.

Wir wissen, daß kaum ein Gebiet des alten Kunst-
gewerbes von der Fälschung verschont geblieben ist,
denn bei dem stetigen, in letzter Zeit sogar rapiden An-
wachsen der Preise, die für Antiquitäten gezahlt werden,
hat das Handwerk des Fälschers einen goldenen Boden
bekommen. Der Anreiz, lediglich durch technische
Meisterschaft und durch Anpassung an den Stil ver-
gangener Zeiten — ohne eigene Erfindermühe und künst-
lerische Produktivität — große Werte zu schaffen, ist
für viele skrupellose Naturen zu groß. Und auf der
anderen Seite steht der immer sich steigernde Hunger
nach alter Kunstware, der mit soliden Mitteln, d. h. durch
echte, alte Handwerkskunst, fast nicht mehr zu befriedigen
ist. So wird denn die Antiquität „gemacht“; sie läuft
durch den Handel - oft sicher bona fide und endet
in den Räumen und Vitrinen der Sammler. Lehrgeld hat
noch jeder Sammler zahlen müssen
und wohl auch jeder Museumsmann;
es gibt kein Museum, das nicht auch
einmal „hereingefallen“ wäre, und die
Existenz von besonderen Fälschungs-
kammern in manchen unserer Museen
bedeutet ganz und gar nicht etwa
eine Schande.

Über Fälschungen und die mehr
oder minder lustigen Histörchen bei
ihrem Vertrieb und ihrer Entdeckung
besteht schon eine stattliche Literatur,
die jedoch wohl noch niemanden
vor einem „Hereinfall“ hat bewahren
können; da sind wir lediglich auf
Selbsthilfe angewiesen, d. h. auf
ewiges Studieren und Vergleichen
der Objekte und auf die Anwendung
unserer gesunden fünf Sinne.

Aber nicht von direkten Fäl-
schungen, d. h. von gänzlich neuen,
den alten Originalen bis zu einem
hohen Grad der Vollkommenheit
nachgebildeten Arbeiten soll hier
die Rede sein, sondern von einer —
in vielen Fällen allerdings noch ge-
fährlicheren — Abart: von „Ver-

fälschungen.“ Also von Werken, die
an sich alt sind, aber durch be-

trügerische Manipulationen einen anderen Charakter
bekommen haben, der sie wertvoller und für das Auge
des nicht mit allen Hunden gehetzten Liebhabers
begehrenswerter machen soll.

Ich beschränke mich hier auf eine besondere Speziali-
tät, auf die Möbel, weil gerade bei ihnen eine besonders
große Blütenlese von Verfälschungen aufgezeigt werden
kann.

Es gibt kaum ein Möbel, das wegen seiner gefälligen,
leichten Form seit dem Erwachen der historischen Lieb-
haberei sich größeren Anklangs erfreut hat als der rhei-
nische Stollenschrank der Gotik und Frührenaissance.
Wenn aber alle die rheinischen Stollenschränke, die seit
den 1870 er Jahren ihren Weg in die Sammlungen alten
Kunstgewerbes gefunden haben, echte alte Originale
wären, so müßte man annehmen, daß im 15. und 16. Jahr-
hundert jeder rheinische Bürger und Bauer nicht nur
am Sonntag sein Huhn im Topf, sondern auch in der
Stube seinen Stollenschrank gehabt hätte. Gerade diese
Schränke sind ein Schulbeispiel für das Verfälschen von
Möbeln. Abgesehen von den unendlich vielen Exem-
plaren, die vom Fuß bis zum Gesims völlig neu sind, d. h.
absichtlich oder unabsichtlich reine Fälschungen dar-
stellen, gibt es eine gewaltige Anzahl von Stollenschränken,
die teilweise alt sind, aber durch
Veränderungen, Bereicherungen, Er-
gänzungen derartig umgearbeitet sind,
daß sie auf einen dokumentarischen
Wert keinerlei Anspruch mehr machen
können. Die harmloseste Ergänzung,
die oft auch einer Notwendigkeit
entspricht, ist die Erneuerung der
in ihren unteren Teilen meist abge-
! faulten oder sonst zerstörten Füße.

Dagegen läßt sich natürlich nichts
| einwenden, sofern die Höhenverhält-
nisse und die Profile exakt gewahrt
bleiben. Häufig genug aber sind
die Fälle, in denen schlichte Gestelle
durch Einfügung reich geschnitzter
Türen oder durch Anbringung von
Schubladen verschönert werden, wo
auf die einfachen Rahmen geschnitzte
Fialen aufgesetzt werden, um das
Gesamtbild zu „bereichern“, wo
endlich zwischen den Hinterstollen
geschnitzte Füllungen als Rückwand
eingefügt werden — eine Lösung,
die fast nur bei französischen Stollen-
schränken zu beobachten ist. Noch
schlimmer steht es natürlich um die
Möbel, bei denen aus zwei alten
Türen ein ganzer „alter“ Schrank

Abb. 1. Zusammengebauter rheinischer
Stollenschrank.

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