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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Maiheft
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Eucken, Irene: Leben und Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0363

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leben und form

oon

Ivene €ucken

Frau Geheimrat Irene Eucken, die Gattin des be-
rühmten Jenaer Gelehrten, die, wie „Der Kunstwanderer“
im 2. Aprilheft mitteilte, mit ihrer „Stickerei-Stube Jena“
starke Erfolge aufzeigt, sendet uns auf Anregung des
„Kunstwanderers“ folgenden Artikel über ihre künst-
lerischen Ziele.

jie besondere Lage der Gegenwart drängt zu einer
engen Verbindung von Wirtschaftlichem und Künst-
lerischem; es gilt neue Existenzmöglichkeiten zu schaffen
und anderen die Wege dafür zu zeigen. — Die Welt
gewinnen aber können wir nur durch die Qualität unserer
Leistungen, nur das Beste des Besten kann auf dem
großen und vielbestrittenem Weltmarkt dauernd beachtet
und gewürdigt werden. Dies sachliche Beste aber muß
zugleich unmittelbar gefallen und reizvoll wirken; es
muß auf seinem besonderem Gebiet namentlich durch
seine Farben anziehen und gewinnen.

Im Schaffen selbst aber müssen jene äußeren Fragen
völlig versinken und dem künstlerischen Ziel, dies ist:
einer lebensvollen Harmonie dienen. Ich verwerfe alle
starren und gleichartigen Formen, es gilt nach meiner
Überzeugung die ganze Fläche zu beleben und jedes
Element nach seiner eigenen Art und an seiner Stelle
zu verwenden. Indem ich aber die Mannigfaltigkeit zum
vollen Ausdruck bringe, erstrebe ich beim Schaffen eines
Musters vornehmlich eine durchgängige Einheit, aber
diese Einheit ist keine Schablone, welche den Dingen
wie ein fremdes Gewand übergeworfen wird, sondern
ein Zusammenstreben aller einzelnen Lebenspunkte zu
einer Harmonie, die nicht abgeleitet wird, sondern aus

der gegenseitigen Berührung mehr unbewußt als bewußt
hervorgeht. Das Bloßstoffliche tritt dabei sehr zurück,
es wird durchgeistigt, ja man könnte es als im Ver-
schwinden begriffen bezeichnen. — Die Einheit, welche
dabei entsteht, erstrebt namentlich eine starke und durch-
gehende Bewegung. Diese Bewegung duldet nichts
Gleichgültiges und Überflüssiges. Das Zuviel zerstört
dabei ebenso wie das Zuwenig.

Daß jeder schaffende Künstler unbewußt gewisse
Gesetze einhält, das muß sich auch hier erweisen, aber
diese Gesetzlichkeit ist auf’s engste der Individualität
des Schaffenden verbunden, sie läßt sich nicht davon
ablösen. Mir persönlich scheint die Aussparung der
Grundfläche besonders wichtig. Diese muß ebenso
sorgfältig beachtet werden, wie das Muster selbst. Von
größter Bedeutung sind die Tonwerte mit ihrer Unver-
gleichlichkeit, wesentlich ist es, daß die aufgetragenen
Farben den Grundton der Arbeit sei es Seide, Wolle,
Tüll oder Leder veredlen oder heben. Damit gewinnt
die Farbe als das Hauptmittel der Belebung und der
Individualisierung des Kunstwerks eine besondere Be-
deutung.

Im Zusammenwirken aller dieser Punkte suche ich
eine Kunst, welche mit ihrer Auflösung aller starren
Formen sich als eine durchaus moderne fühlen darf, die
aber bei aller Betonung des schaffenden Lebens sich
fern von allem Ungestüm und allem Wirrwarr hält und
stets das Ziel einer vollen Harmonie gegenwärtig hält.

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