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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Oktoberheft
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Zahn, Leopold: Von den Ursachen der graphischen Massenproduktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0082

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Ernst Barlach, „Bettlerin mit Kind“, Bronze. Aus dem Katalog
der Galerie Ernst Arnold-Dresden.

Mit Genehmigung von Paul Cassirer, Berlin.

Die nachstehenden Ausführungen Dr. Leopold Zahns
in München scheinen uns als eine Art Zeitdokument von
besonderem Interesse; wir bemerken jedoch, daß wir mit
ihrem Tenor nicht ganz einverstanden sind.

Wiederbelebungsversuche der Graphik, die zu mecha-
nischer Reproduktion herabgesunken war, datieren
nicht von heute oder gestern. Anfangs waren englische
Beispiele richtunggebend. Ihren stärksten Wellengang
erreichte die graphische Reformbewegung innerhalb der
deutschen Kunst. Historische Vorliebe für Graphik schien
neu zu erwachen.

Die graphische Bewegung in Deutschland, die mit
dem Eindringen des Impressionismus und der Wieder-
erweckung des Kunstgewerbes ungefähr zeitlich zusammen-
fiel, hält aber, sowohl was Extensität, als auch was
Intensität betrifft, keinen Vergleich aus mit der graphischen
Sturmflut, die mit dem Expressionismus zusammenhängt.
Schon während der zweiten Hälfte des Krieges konnte
man ein Anschwellen von Zeitschriften, die sich der
Verbreitung expressionistischer Graphik zur Aufgabe
machten, feststellen. Geradezu verwirrend wurde aber
die Fülle graphischer Publi-
kationsorgane nach Beendi-
gung der Feindseligkeiten.

Zur Zeitschrift — als der be-
liebtesten Publikationsform—
tritt noch das graphische
Buch und das Mappenwerk
(um vom Einzelblatt garnicht
zu reden). In ganz kleinen
verschlafenen Provinzstädten
tauchen nun plötzlich jene
wilden Schwarz-Weiß-Zeit-
schriften auf, in denen der
Bürger nur Ausgeburten
menschlichen Aberwitzes
sieht. Das Maximum wird
selbstverständlich in den
Großstädten wie München u.

Berlin erreicht. Neben Zeit-
schriften, die nur auf kapitals-
kräftige Abnehmer rechnen
können, mehren sich solche,
deren Preis auf unbemittelte
Schichten Rücksicht nimmt.

Parallelerscheinungen dazu
gibt es unter dem Mappen-
werk und dem graphischen
Buch. Preisamplituden von
1000 zu 10 Mk. sind hier
nicht selten.

Wer die wirtschaftliche
Verarmung im Gefolge des

Krieges, die Materialknappheit und die ungeheueren
Herstellungskosten einseitig in Betracht zieht, wird sich
diese Massenproduktion (die doch bis zu einem gewissen
Teil auch auf Verlegerspekulation zurückzuführen ist)
unmöglich erklären können.

Wo sind nun aber die Quellen dieser Massen-
produktion zu suchen? Ich glaube sie teils auf künst-
lerischem, teils auf ökonomischem Gebiet zu finden.

Eine entscheidende Rolle kommt der Kunstentwick-
lung, die wir mit dem Schlagwort Expressionismus
charakterisieren, zu. Die Idee, der Gedanke, vom Im-
pressionismus verfehmt, ist in der neuen Kunst wieder
zu seinem Recht gekommen. Der Impressionismus, als
rein sensuell orientierte Kunst, fand in der Farbe seinen
naturgemäßtesten Ausdruck, der Expressionismus mit
seiner schon betonten geistigen Tendenz sieht in der
Linie sein Ausdrucksäquivalent. Aus gleicher Tendenz
entspringt die Vorliebe der neuen Kunst für zyklische
Schöpfung, eine Sehnsucht, die sich leichter in der
Graphik, als in der Malerei befriedigen läßt. Ferner:

das starke Hervortreten ger-
manischen Kunstgefühls im
Expressionismus bringt Vor-
herrschaft der Linie vor der
Farbe. Endlich: im Zusam-
menhang mit der Demo-
kratisierung des politischen
Lebens steht ein Besinnen auf
dendemokratischenUrsprung
der Graphik. Dem Bedürf-
nis des modernen Künstlers
mit seiner Kunst „ins Volk
zu dringen“ scheint die
Graphik der unmittelbarste
Weg. Ja, einige Künstler
versuchen über rein künst-
lerische Absichten hinaus
mit ihrer graphischen Kunst
sozial-revolutinäre Agitation
zu betreiben.

Diesem Doppelzweck, mo-
derne Kunst in das Volk
zu bringen und dieses durch
jene im radikalsten Sinne zu
revolutionieren, dienen schon
eine Reihe von Zeitschriften,
die Politik im Sinne Lenins
durch expressionistische
Holzschnitte unterstützen.

Der Versuch, alldeutsche
Politik mit expressionistischer
Graphik zu verquicken, der

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