Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Ein neues Kunst-Mekka in Deutschland
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0417

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tahrgang iqqo 1./2. JuiitrGtt

6iri neues Kun{b)vtekka tu Deutßbtand

oon

Hans UX Singßü

Professor Dr. Hans W. Singer vom Kupferstichkabinett
in Dresden bringt im nachstehenden Artikel den ersten
öffentlichen Hinweis auf eine in Greiz befind-
liche, bedeutende Kunstsammlung, deren Bestehen bisher
unbekannt war und deren Graphik-Schätze zweifellos
Aufsehen erregen werden.

V\ Jir hören bereits davon, daß viel von unserem Kunst-
^ * besitz in’s Ausland abzieht und fürchten, daß die
Verluste immer umfangreicher sich gestalten werden. Da
ist es ein ganz besonders Glück in der Lage zu sein,
von Zuwachs berichten zu dürfen.

Seit dreißig Jahren fast bin ich an einer Stätte, zu
der viel herbeigetragen wird. Unbewanderte Besitzer
bringen uns ihre Sachen, in der Hoffnung, daß wir ihnen
bestätigen, sie haben unter altem, mißachtetem Hausrat
ungeahnte Schätze gefunden. Das geschieht in gesteigertem
Maße seit etwa 15 Jahren, seit derZeit, da die Preise für
Graphik so unglaublich angezogen haben. Aber die
ganzen Jahre über ist mir so gut wie nie etwas einiger-
maßen wertvolles gebracht worden, mit Ausnahme einer
Rembrandt-Zeichnung, die das Dresdner Kabinett auch
erwerben konnte. Und auf diese Weise ist allerdings
dieselbe Anstalt zu einer der wichtigsten Erwerbungen
aller Zeiten, zu den vier Originalzeichnungen von Grüne-
wald, die im Rest einer vergessenen Sammlung verborgen
lagen, gelangt. Sonst bieten einem die Leutchen das
krauseste Zeug an. Ein fleckiger, eingerissener Stahlstich
wird mit der Wichtigkeit ausgepackt, als ob es sich um
eine Inkunabel im herrlichsten Erhaltungszustand handle;
und wenn man keine Begeisterung für eine zerfledderte
Volksbilderbibel, etwa aus dem Jahr 1785 verrät, so wird
einem vorwurfsvoll vorgehalten, das sei doch ganz alt.

Abgesehen von den zwei schon aufgeführten Fällen,
erlebte ich vor etwa einem Monate endlich wiederum eine

angenehme Enttäuschung. Der Gegenstand bildete
wiederum die Reste einer einst bekannten Sammlung,
welche Reste seit weit mehr als zwei Menschenaltern ver-
schollen waren. Es tauchten auf: ein Unikum aus dem
15. Jahrhundert, mehrere Schongauer und italienische In-
kunabeln, ungewöhnliche Blätter von Dürer, Duvet, den
Kleinmeistern, den Holländern des 17. Jahrhunderts; —
immerhin beträchtliche Werte, wenn man an die heutigen
Preise, wie sie die Davidsohn’sche Versteigerung unlängst
festgelegt hat, denkt.

Wenn man dies nun auch nicht als eine Bereicherung
des deutschen Kunstbesitzes ansprechen kann, in dem
Sinn, daß etwas, was bislang dem Ausland gehörte, nun
unser Eigentum geworden wäre, so ist es doch eine Be-
reicherung, weil die Blätter der Allgemeinheit unbekannt
eben in der Vergangenheit geschlummert haben, und für
uns erst mit dem Tag Wert erhalten, an dem sie die Anzie-
hungskraft des Dresdner Kabinetts aus der Versenkung
gelockt hat.

Innerhalb derselben vier Wochen ist mir nun Kennt-
nis von einer zweiten, seit Menschenaltern verschollenen
Sammlung geworden, die nun mindestens um das hundert-
fache wertvoller ist, und die, ich zögere nicht es zu be-
haupten, für Interessenten alter Graphik, eine der großen
Sehenswürdigkeiten der Welt darstellt.

Um sie zu beschreiben, muß ich ein klein wenig
ausholen.

König Georg III. von England hatte bekanntlich mit
seiner Gemahlin Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, neun
Söhne und sechs Töchter. Die dritte Tochter, Elisabeth,
ward am 22. Mai 1770 geboren. Sie hat sich erst mit
48 Jahren (am 7. April 1818), mit dem Landgrafen Frie-

413
 
Annotationen