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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
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Weinzetl, R.: Die Kopie in der ostasiatischen Malerei: Echtheit von Rollbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0125

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Legationsrat R. Weinzetl, der lange Jahre in China
gelebt und sich intensiv mit der chinesischen Kunst be-
schäftigt hat, bereitet ein Werk über diese Materie vor.

[ jem überzeugten Individualisten, welcher der euro-
päische Künstler von heute ja meistens ist, bedeutet
die Kopie in der Regel den Gegenpol des frei-
schöpferischen Kunstmarktes, der Kopist schlechthin ein
Individium ohne schaffende Phantasie, das sich beim
Malen fast ausschließlich auf das Handwerksmäßige seiner
Kunst beschränkt. Dieses etwas harte Urteil ist der Ausfluß
eines in seinem Kulminationspunkt genialischen Dranges,
der jedoch auch im individualistischen Europa nicht zu
allen Zeiten mit gleicher Intensität in die Erscheinung trat.
Von der frühen italienischen Malerei sagt z. B. Lovis
Corinth:1) „Es wurden immer dieselben Motive gemalt und
viele Sachen direkt entnommen .... Die Zeit war nicht
heikel in der Ausnutzung des Vorhandenen .... Rubens
kopierte viel bis in sein spätes Alter. Seine Jugendwerke
haben Anklänge an Raffael. Später sollen seine Kopien
ganz wie eigene Bilder ausgesehen haben.“

Im großen und ganzen wird es wohl nicht unbe-
rechtigt sein, die Anfänge malerischer Betätigung über-
haupt dem Werdegang des orientalischen Teppichs, der
trotz hoher möglicher Künstlerschaft nie eine Signatur
trägt, oder der Entstehung des ebenso anonymen Volks-
lieds zu vergleichen. Nicht in dem Sinne, daß sie nicht
einem Ingenium ihre Entstehung verdanken, sondern so,
daß sich dieses seines Wertes kaum bewußt ist und sich
weniger von seiner Umgebung differenziert. Man frägt
nicht viel nach dem individuellen Schöpfer; so sehr hat
die Allgemeinheit der Schöpfung ihren Stempel aufge-
drückt und dann auch deswegen nicht, weil er selbst
nicht viel aus sich machte. Juns Bild hat ein Primitiver
gemalt — wenn es hoch kommt, wird er nach seinen
Schöpfungen benannt, wie z. B. der Meister vom Tode
der Maria — diesen Teppich hat ein Turkmen gewebt,
jenes Lied ist dort und dort entstanden. Was ein tiefer
Geist einmal von der Religion des Individiums gesagt hat,
könnte man auf die bildende Kunst im Hinblick auf die
Kopie anwenden: Sie bedeutet die Weingärung der sich
bildenden und die faule Gärung der sich zersetzenden
Kunst. Der springende Punkt, auf den es bei der Ent-
wicklung ankommt, ist, daß sich die Künstler rechtzeitig
auf die Rückkehr zur Natur, als dem Urquell aller schöpfe-
rischen Betätigung besinnen. Während nun in unserem
Kunstleben das starke Hervortreten der Kopie höchstens
eine Etappe der künstlerischen Evolution bildet, müssen
wir mit Verwunderung feststellen, daß die Kopie in China
zu allen Zeiten eine dominierende Stellung eingenommen
hat, ja in den letzten Jahrhunderten derart überwucherte,
daß das Malen vor der Natur ganz ausgeschaltet wurde.
Wohl muß es, besonders in den Glanzepochen der chine-

') L. Corinth: Das Erlernen der Malerei, Berlin, P. Cassirer.

sischen Malerei, Meister gegeben haben, die ihre Ein-
gebungen hauptsächlich der Natur verdankten. Aber so
groß ist das Übergewicht des Impersonalismus als chine-
sischer Rasseneigentümlichkeit im Verein mit dem dieses
Volk kennzeichenden Mangel an folgerichtigem Denken,
daß das Schöpferische, geschweige denn das Geniale,
wenn es überhaupt als höchste Potenz des Individualismus
je in einem chinesischen Kunstwerk zutage trat, nicht
bemerkt wird und daß die Wertschätzung eines Bildes
im Allgemeinen von rein technischen Momenten abhängt.
Der chinesische Kritiker Su Tung p’o steht infolgedessen
mit der nachstehenden Verurteilung des Kopierens ganz
isoliert da: „Die Meisterwerke der Alten kopieren, heißt
nur in Staub und abgetragenen Hüllen wühlen.“

Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder
nehmen, daß das Odium der Kopie einfach nicht vor-
handen war und daß das Malen nach der Natur in Miß-
kredit kam, wenn der geschickte Kopist, der sich etwa
eine eigene Strichmanier oder sollen wir sagen Hand-
schrift zurechtgelegt hatte, oft höher eingeschätzt wurde,
als der Urheber selbst. Tatsächlich enthalten selbst die
ältesten chinesischen Malanleitungen kaum einen Wink
über das Malen nach der Natur. Anstatt die Natur als
oberste Lehrmeisterin anzuerkennen, weisen sie nur selten
und schüchtern auf dieselbe hin. So wird z. B. von dem
großen Pferdemaler der Tangzeit (7. bis 10. Jahrh. nach
Chr.) sozusagen als Kuriosum berichtet, daß er als An-
fänger zu einem berühmten Meister in die Lehre gegeben,
einmal auf die Frage, wo er seine Studien mache, auf
den Stall gezeigt habe. Eine ähnliche Tendenz ist in der
klassischen Malerei der Griechen und besonders der
Römer zu konstatieren: „Ihre Fähigkeit bestand in einem
unsäglich leichten, kühnen und schönen Rezitieren des
Auswendiggelernten; dieses war ein Teil des allverbreiteten
Grundkapitals der antiken Kunst.“2)

Weil nun das Malen nach der Natur so in Vergessen-
heit geriet, daß es nachgerade kaum je ein Künstler mehr
betrieb, machen die neueren ostasiatischen, besonders
japanischen Kunstgelehrten, wohl auch um der diesbe-
züglichen westländischen Kritik die Spitze abzubrechen,
aus der Not eine Tugend und erklären, daß der ost-
asiatische Künstler in seinen Bildern Naturtreue nicht an-
strebe und daß dieselben mehr Ausdruck von Ideen als
Nachahmungen der Natur seien. Sie unterlassen es aber,
hinzuzufügen, daß es sich für den chinesischen und ja-
panischen Maler eigentlich um ein non possumus handelt,
daß er einfach nicht mehr imstande ist, die drei Dimen-
sionen der Natur in die zwei Dimensionen der Malfläche
zu übertragen. Wenn wir den Ausspruch Goethes „Kunst
ist Natur, gesehen durch ein Temperament“ als Kriterium

2) Zitiert nach Cicerone I. bei A. Kuhn O. S. B., Geschichte
der Malerei.

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